Ein Rückblick von Rolf Schwarz.
Am 3. Juni 2009 begann in der Christian-Timm-Regionalschule in Rendsburg die Ausstellung „Erinnerung bewahren“, die durch eine Veranstaltungsreihe und einen Kreativwettbewerb für Schülerinnen und Schüler zum Schicksal polnischer Zwangsarbeiter ergänzt wurde. Letzterer endete im November mit dem Besuch polnischer und belarussischer Jugendlicher.
Veranstalter für dieses Gesamtprojekt in Schleswig-Holstein waren die Christian-Timm-Regionalschule mit Unterstützung ihrer Offenen Ganztagsschule und die Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein. Bis zum 27. Juni konnte die Ausstellung mit dem Motto „Man hat Euch das Leben genommen, heute schenken wir Euch einzig unsere Erinnerung“ in der Aula besichtigt werden.
Fotos, Dokumente und reale Objekte zeigten Schicksale polnischer Männer, Frauen und Kinder, die gezwungen worden waren, Zwangs- und Sklavenarbeit auf dem Gebiet des Dritten Reiches zu leisten. Propagandistische Plakate und Flugblätter, originale Amtsdokumente, Verordnungen, Appelle und Pressemitteilungen sowie persönliche Briefe und Andenken zeugten davon, welche Auswirkungen die Zwangsarbeit auf einzelne Menschen hatte.
Die polnischsprachige Fassung der Ausstellung wurde 2005 im Warschauer Königsschloss feierlich eröffnet. 2007 wurde in Zusammenarbeit mit dem Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit der Stiftung „Topographie des Terrors“ in Berlin ihre deutschsprachige Version ausgearbeitet. Deren feierliche Eröffnung fand 2007 im Berliner Rathaus statt. Diese Ausstellung wurde in Rendsburg durch ein „regionales Fenster“ mit Beispielen aus Schleswig-Holstein ergänzt.
Etwa 600 Personen besuchten die Ausstellung, darunter viele Schülerinnen und Schüler. Erwünscht hatten sich die Veranstalter einen stärkeren Besuch anderer Schulen; hinderlich dafür war sicherlich der Zeitpunkt kurz vor den Zeugnissen. Zahlreiche Kinder ehemaliger Arbeitgeber, aber auch Betroffener kamen, um sich genauer zu informieren und zeigten teilweise Erinnerungsstücke.
Begleitend zur Ausstellung fanden in den Räumen der Offenen Ganztagsschule fünf Vortragsveranstaltungen statt. Zwischen 10 und 20 Personen nahmen an ihnen teil. Die kleine Zahl der Zuhörer lässt sich zum Teil auf das Thema der Veranstaltungsreihe zurückführen; es gelang aber auch nicht, alle Veranstaltungen in die aktuelle Presse zu bekommen. Die Intensität der jeweils anschließenden Diskussionen mag wiederum am kleinen Kreis gelegen haben.
Am 4. Juni 2009 berichtete Beate Niemann, Tochter des Berliner Kriminalpolizisten und späteren Gestapo-Chefs von Belgrad, Bruno Sattler, über ihre Spurensuche, die sie in dem Buch „Mein guter Vater – Mein Leben mit seiner Vergangenheit. Eine Täterbiographie“ schildert. Am Abend wurde auch der Film von Yoash Tatari „Der gute Vater – eine Tochter klagt an“ vorgeführt. Eine besondere Spannung erhielt der Abend, da sich unter den Gästen die Töchter eines weiteren Täters, aber auch eines Opfers befanden.
Eine Woche später trug Uwe Fentsahm vor. "Zwangsarbeit 1939-1945 - Erinnerungen und Reaktionen am Beispiel der Gemeinde Wattenbek". Bereits 1995 hatte er einen Zeitzeugenbesuch mit organisiert. Drei Männer kehrten an den Ort zurück, wo sie unfreiwillig einen Teil ihrer Jugend verbringen mussten.
„Die Jahre in Deutschland hatten sehr schwere Folgen für mich“ hieß es am 18. Juni. Rolf Schwarz spannte in seinem Vortrag einen Bogen. Beginnend mit der zeitweisen Nutzung der Christian-Timm-Schule als „Entlausungseinrichtung“ erläuterte er nachfolgend die Situation der ZwangsarbeiterInnen im Rendsburger Raum und in Schleswig-Holstein.
Dem Thema „Bildungsarbeit über den Nationalsozialismus und die Rolle der Schule: Lernen und Erinnern = Wissen und Handeln?“ widmete sich am 24. Juni Dr. Oliver von Wrochem, Leiter des Studienzentrums der KZ- Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg. Er ging der Frage nach, ob Menschen aus der Geschichte für die Gegenwart lernen können. Seine Ausführungen verursachten nachdenkliche Gesichter der anwesenden Lehrkräfte, was sicherlich gewollt war.
Zum Abschluss der Vortragsreihe informierte Janine Dressler einen Tag später über das Schicksal von Kindern ehemaliger Zwangsarbeiterinnen, die in Deutschland geboren wurden. Im Projekt "Die Wahrheit über unsere Geburt in Deutschland erzählte uns Mutter nie im Leben" berichteten Kinder, die heute längst Rentner sind, über ihre Ankunft in der Ukraine nach 1945 und ihren Alltag in der ehemaligen Sowjetunion. Das Erzählte zeigte die Aktualität eines in der historischen Forschung bisher wenig beachteten Themas.
In einer Festveranstaltung am 24. September 2009 in der Aula der Christian-Timm-Regionalschule fand im Beisein des Rendsburger Bürgermeisters Andreas Breitner und einer Vertreterin der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ die Preisverleihung für den Kreativwettbewerb statt. Als Gast las die ehemalige Zwangsarbeiterin Katarzya Frankowska aus Wroclawec / Polen aus ihrer Biographie. Sie musste im Nationalsozialismus in Heide, Lunden, Garding und Tönning Zwangsarbeit leisten. Insgesamt 47 Schülerinnen und Schüler der Christian-Timm-Schule, eine Grundschule aus Pinneberg sowie Jugendliche aus Minsk und Grabowiec/Ostpolen hatten Beiträge eingereicht. Angesichts der Qualität und Vielfalt entschieden die Veranstalter allen einen Preis zu überreichen.
„Ihr habt euch mit der neuesten Geschichte auseinandergesetzt und auf diese Weise euer Wissen über dieses dunkle Kapitel bereichert. Dabei habt ihr sehr gute Arbeit geleistet, denn dank eures Engagements und eurer Kreativität kann die Erinnerung an das Schicksal der polnischen Zwangsarbeiter wach gehalten werden“, bedankte sich Dariusz Pawlos, Vorsitzender der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“, bei den Teilnehmern schriftlich. „Was an dieser Schule gegen das Verdrängen und Vergessen dieses Teils der Geschichte geleistet wird, verdient großes Lob - genauso wie die eingereichten Werke“, ergänzte der Rendsburger Bürgermeister und äußerte den Wunsch, die Beiträge im Rathaus ausstellen zu können.
Vom 23. November bis 7. Dezember 2009 bestand dann für die Öffentlichkeit die Möglichkeit, die Wettbewerbsbeiträge im Foyer des Rathauses zu besichtigen. Die polnischen und belarussischen Jugendlichen waren als Anerkennung nach Rendsburg eingeladen worden und zur Eröffnung berichteten sie kurz über ihre Arbeiten. Während ihres Aufenthaltes besuchten sie gemeinsam mit ihren gastgebenden Schülerinnen und Schülern u. a. die Gedenkstätte Neuengamme und erhielten dort Führungen in der Heimatsprache.
Der Umfang des Projektes sprengte teilweise die schulischen Möglichkeiten und war nur durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Kooperationspartnern zu realisieren. Die Einladung von Schülerinnen und Schülern nach Grabowiec zu einem Gegenbesuch bildet gleichzeitig den schönen Abschluss und Beginn eines neuen Projekts.