Das „Polizeigefängnis“ Fuhlsbüttel im Frühjahr 1945

Mr. Barnes gab den im Gerichtssaal Versammelten auch eine Erläuterung, was mit dem Namen „Fuhlsbüttel“ alles zu verbinden sei: „Fuhlsbüttel is a prison, it is the name of a prison, which is situated in one of the North Hamburg suburbs and which from the very first days of the former National Socialist Regime was used as a concentration camp, and in July 1935 it was called a police prison, but it was in fact used by the Hamburg Gestapo as a remand prison [Untersuchungsgefängnis], and indeed a prison in which people were kept indefinitely [auf unbestimmte Zeit] without trial until their ultimate disposal [Bestimmung] either to release [Entlassung], to concentration camp, to other prisons, or for liquidation.“[11] Bis auf eine kleine Ungenauigkeit hinsichtlich der Zeitangabe scheint uns dies doch eine hinreichende Beschreibung des im Volksmund so genannten „Kola-Fu“ zu sein.[12]

In Bezug auf den dritten Anklagepunkt (s.o.) führte Barnes weiterhin aus: „On about the 10th April 1945 orders were received for the evacuation of certain of these prisoners from Fuhlsbüttel to a camp called Kiel-Hassee in or in the vicinity [Umgebung] of Kiel. A small party were sent by boat but the majority had to march and they were divided into three or four columns. One of these columns was commanded by the accused [beschuldigten] Hennings with Hahn as his assistant; another was commanded by a man called Reppin who is not before this court; a third was commanded by the accused Schütte, so that you have the three defendants [Angeklagten], Hennings, Hahn and Schütte charged [belasted] as having been responsible [verantwortlich] for one or other of these convoys.“[13] Auch hier zeigte der Prosecutor, dass die voraufgegangenen Ermittlungen der War Crimes Investigation Unit einigermaßen erfolgreich gewesen waren und der historischen Wahrheit schon sehr nahe gekommen sind.

Tatsächlich war die Evakuierung des Gefängnisses durch Befehle des „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“ Heinrich Himmler veranlasst worden: Kein KZ-Häftling sollte lebend in die Hände des Feindes fallen. Und alle arbeitsfähigen deutschen Menschen, Kriegsgefangene, ausländische Arbeiter und Strafgefangene seien bei Feindannäherung „zurückzuführen“[14]. Hierdurch sah sich der für den Wehrkreis X zuständige Höhere SS- und Polizeiführer Henning Georg von Bassewitz-Behr gefordert. Zusammen mit Hamburger Gestapobeamten entwarf er folgenden Plan: „Die Fuhlsbüttel-Häftlinge wurden in drei Gruppen eingeteilt. Die Minderbelasteten sollten entlassen werden und nur die 'gefährlichen' Fälle nach Neuengamme kommen. Der Rest (ca. 800 Menschen) sollte in einem Fußmarsch (nach Kiel ins 'Arbeitserziehungslager Nordmark') 'evakuiert' werden.“[15] Ob und inwieweit es in der ersten Gruppe tatsächlich zur Entlassung von Minderbelasteten gekommen ist, scheint derzeit noch nicht hinreichend geklärt zu sein.

Über die zweite Gruppe hatte die englische Besatzungsmacht bereits 1947 einige Erkenntnisse: „71 prisoners [were] sent to Neuengamme for liquidation on about 20 April. Amongst these 58 men and 13 women were at least 15 allied Nationals. They were all liquidated.“[16] Den Transport nach Neuengamme am 20. April 1945 hatte nach eigner Aussage der Angeklagte Hans Stange geleitet: „Ich hatte Aufsicht über den Transport nach Neuengamme, der aus ungef. 80 Mann bestand. Es waren ungefähr 10 Frauen darunter. ... Ich möchte noch sagen, dass der Transport nach Neuengamme auf Anordnung von Bassewitz-Behr durchgeführt wurde.“[17] Über die anschließende Hinrichtung der Gefangenen findet sich in der Erklärung von Stange kein Wort.[18]

Über die dritte und größte Gruppe wissen wir aus der Anklageschrift des Mr. Barnes, dass sie in drei oder vier Kolonnen aufgeteilt und nach Kiel gebracht werden sollte. Die Anzahl der Kolonnen ist also nicht endgültig geklärt, ebenso die Frage, wer diese Kolonnen verantwortlich geleitet hat. Hierzu gibt es teilweise recht widersprüchliche Aussagen, auf die weiter unten eingegangen wird.[19]

Die von Mr. Barnes erwähnte Häftlingsgruppe, die „by boat“ nach Kiel gelangen sollte, hat es nachweislich gegeben. Es war eine sehr heterogene Gruppe von ca. 150 Personen aus dem Gefängnis in Fuhlsbüttel, die nach Angaben von Korte bereits am 10. April 1945 im Hamburger Hafen auf einen Frachter verladen wurde. Darunter waren nach Aussage des Transportführers Friedrich Wilhelm Röttger „30 polnische Offiziere und 10 deutsche Männer. Die Frauen waren größtenteils Deutsche.“[20] Aber an Bord waren auch etwa 30 Luxemburgerinnen und ein Kleinkind. Einige von ihnen befürchteten, dass sie „zusammen mit dem Kahn auf offener See versenkt werden“ sollten.[21] Den polnischen Offizieren gelang es schließlich, die drohende Panik auf dem Schiff zu verhindern und die angespannte Situation zu beruhigen. Letztendlich erreichte man am 13. April, nach einer Fahrt durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal, Kiel-Holtenau. Unter sehr erbärmlichen, menschenunwürdigen Umständen erfolgte anschließend der Marsch durch die Stadt Kiel nach Hassee: „Um Mitternacht kamen wir dann im Lager an. Für mich waren die Zustände dort im Lager unfaßbar. Wir mußten auf Brettern liegen und bekamen nur eine dünne, verlauste Decke. Die Ernährung war so gut wie Null. Auf dem Lagerplatz lagen nur noch ein paar Rübenberge, die ohne Salz und ohne Kartoffeln, nur in Wasser gekocht wurden. Die Ausländer bekamen nur jeden zweiten Tag von dieser Wassersuppe. Brot gab es nur am Abend 1 Stück.“[22]

Hilde Sherman gehörte zu einer Gruppe von Juden, darunter 96 Frauen, die im Oktober 1944 aus dem Ghetto in Riga evakuiert worden war. Im Februar 1945 wurde die Gruppe in Libau auf einen Frachter verladen und erreichte am 25. des Monats nach einer unter dramatischen Umständen verlaufenen Schiffsfahrt den Hamburger Hafen: „Gegen zwei Uhr nachmittags fahren mehrere Gefängniswagen vor. Es geht in der Grünen Minna nach Fuhlsbüttel. Die Hamburger unter uns kennen sich aus, auch in den verwüsteten Straßen. Sie fühlen sich fast zu Hause. Männer und Frauen werden [im Gefängnis] separiert.“[23] Nach eigener (quellenmäßig nicht näher belegter) Aussage dauerte der Aufenthalt der Juden in Fuhlsbüttel bis zum 14. April 1945. An diesem Tag wurden die Frauen in einer (nur aus Frauen bestehenden) Transportkolonne zu Fuß nach Kiel in Marsch gesetzt. Die Männer ereilte offensichtlich ein anderes Schicksal: „Aus dem Gefängnis in Hamburg-Fuhlsbüttel waren fast hundert Männer nach Bergen-Belsen geschickt worden“, darunter zahlreiche Juden. „Nicht ein Dutzend überstand den letzten Monat in Bergen-Belsen.“[24] Die Umstände des Abtransports dieser Gruppe sind offensichtlich noch nicht genauer aufgearbeitet worden.

Logistische Vorbereitung des Marsches

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[11] Protokoll des ersten Prozesstages, in: WO 235/407, S.4.

[12] Die Umbenennung in „Polizeigefängnis“ erfogte erst 1936 aufgrund einer Anordnung von Himmler (Ludwig Eiber: „Kola-Fu“. Konzentrationslager und Gestapogefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel 1933-1945, Museum für Hamburgische Geschichte, Heft 13 (1983), S.12).

[13] Protokoll des ersten Prozesstages, in: WO 235/407, S.6.

[14] So äußerte sich der Befehlshaber der Ordnungspolizei im Wehrkreis X, Walter Abraham, anlässlich seiner Vernehmung am 22. April 1947 im Internierungslager Eselsheide (WO 309/967).

[15] Korte, S.192. Vgl. hierzu auch Hoch, S.308f. und Eiber, S.14.

[16] Liste der im Fuhlsbüttel-Prozess Beschuldigten, S.1, in: WO 309/967.

[17] Protokoll der Vernehmung von Hans Stange am 27.3.1947 in Munsterlager, in: WO 235/410 (Exhibit 10).

[18] „Ende April ... im Strafbunker erdrosselt“ (Korte, S.192); „in den Nächten zwischen dem 21. und 24. April an Fleischerhaken erhängt“ (Hoch, S.309); „in der Nacht vom 22. zum 23. April sowie in der folgenden Nacht im Arrestbunker erhängt“ (Eiber, S.14).

[19] Vgl. zu dieser Frage die Ausführungen von Hoch, S.310.

[20] Vernehmungsprotokoll Röttger vom 9.5.1946, in: WO 309/967.

[21] Korte, S.192.

[22] Elly Heins berichtet von ihren Erlebnissen während des Schiffstransportes, in: Fritz Bringmann, „Arbeitserziehungslager Nordmark“, Kiel o.J. [1983], S.23.

[23] Sherman, S.116.

[24] Sherman, S.130.