Abmarsch von Fuhlsbüttel (Donnerstag, 12. April 1945)

Mit einiger Sicherheit können wir annehmen, dass der 12. April 1945 tatsächlich der Tag gewesen ist, an dem die vier Marschkolonnen Fuhlsbüttel verlassen haben. In den Dokumenten, die den Mitangeklagten Johann Hahn betreffen, wird mehrmals erwähnt, dass der bis dahin im Arbeitserziehungslager Wilhelmsburg als Wachmann tätige Hahn am Abend des 11. April den Befehl bekam, sich in Fuhlsbüttel zu melden. Er war dazu ausersehen worden, einen der Transporte nach Kiel zu begleiten und zu bewachen. Hahn war noch am selben Abend in Fuhlsbüttel, konnte dort aber nicht mehr viel erreichen und ging anschließend nach Hause, u.a. um sein Gepäck zu holen. Am Morgen des 12. April erschien er kurz vor dem Abmarsch der von Hennings geleiteten Kolonne auf dem Gefängnishof und erhielt vom Kommandanten Tessmann noch die Anweisung, sich zur Waffenkammer zu begeben und seine einfache Pistole gegen ein Maschinengewehr einzutauschen.[31]

Der zur Kolonne von Hennings gehörende ehemalige Häftling Bruno Schlenstedt gab am 19. Dezember 1946 zu Protokoll: „Ich kam nach Fuhlsbüttel ins Gestapo-Gefängnis. Hier blieb ich bis zum ca. 12. April 1945. Zu dieser Zeit wurde Fuhlsbüttel aufgelöst und es gingen verschiedene Transporte nach Kiel-Hassee. Als mein Transport wegkam, hieß es, dass es der Letzte wäre. Der Transport bestand nur aus Männern u[nd] z[war] ca. 150. Der Transport wurde von einem Wachtmeister von Fuhlsbüttel geführt. Ich glaube bestimmt, es war Hennings. Gleich unter Hennings kam SS-Mann Hahn und noch weitere 8 bis 10 SS-Leute, zum Teil Holländer. Die ersten Erschießungen auf diesem Transport fanden bereits auf dem Wege von Fuhlsbüttel nach Kaltenkirchen statt. Wie viele Männer erschossen wurden, weiß ich nicht, auch ihre Nationalitäten sind mir nicht bekannt. Hahn weiß hierüber aber Bescheid.“[32]

Ein weiterer ehemaliger Häftling, namens Kurt Ewald, gab ebenfalls am 19. Dezember 1946 zu Protokoll: „Mitte April 1945 wurde Fuhlsbüttel geräumt und es gingen verschiedene Transporte nach Kiel-Hassee. Ich selbst ging mit dem letzten Transport weg. Unser Transport unterstand dem Wachtmeister Hennings von Fuhlsbüttel. Dieser war ein SS-Mann und ein sehr brutaler Mensch. Er hatte weiter noch ca. 7 oder 8 Mann Wachpersonal bei sich. Einer war ein Deutscher, er hieß Hahn, die anderen waren Flamen. Namen dieser Letzteren weiß ich nicht mehr. Der Transport bestand aus ca. 160 Mann, die verschiedensten Nationalitäten angehörten. ... Der erste Tagesmarsch von ca. 35 km brachte uns nach Kaltenkirchen. Auf dem Marsch dorthin wurde bereits 1 Mann, dessen Nationalität mir nicht bekannt ist, erschossen. Wahrscheinlich hatte er schlapp gemacht, denn Hennings hatte bereits vorher mitgeteilt, dass wer nicht mitkommen kann während des Marsches erschossen würde.“[33] Dieser letzte Satz belastete Hennings in besonderer Weise, denn er konnte sich ja nicht erinnern, einen derartigen Befehl bekommen, geschweige denn an die Häftlinge weitergeleitet zu haben (s.o). Sowohl Schlenstedt als auch Ewald bekundeten, dass der Transport von Hennings der letzte gewesen sei, der Fuhlsbüttel verlassen habe. Gerhard Hoch war 1980 nach Auswertung des ihm vorliegenden Quellenmaterials noch zu einem anderen Ergebnis gekommen: „Daß Hennings den ersten Transport befehligte, steht außer Zweifel.“[34]

Das Problem der Verpflegung wurde von Kurt Ewald in folgender Weise beschrieben: „Die Marschverpflegung war völlig unzureichend und die Bekleidung ganz schlecht. Besonders die Schuhe waren fast alle völlig kaputt. Die Ausländer waren am schlechtesten dran, davon wieder die Holländer am allerschlechtesten.“ Hilde Sherman erinnerte sich daran, dass ihre Gruppe für drei Tage als Marschverpflegung „pro Person ein halbes Kommißbrot und ein Stückchen Speck“ erhalten hatte.[35] Der Chefankläger Mr. Barnes war hinsichtlich der Ernährungsfrage zu folgendem Ergebnis gekommen: „Before they set out the prisoners were given a somewhat meagre [kärgliche] four day ration; I think it was something like three-quarters of a loaf [Laib Brot] and a small quantity of cheese and margarine; that was to last them [musste ausreichen] four days.“[36]

In Bezug auf den Gesundheitszustand der Marschteilnehmer erklärte Barnes: „Before they set out there were many of them in a very poor state of health, very few of them had foot-wear.“ Den schlechten Gesundheitszustand hatte Transportführer Hennings nachträglich auch bemängelt: „Bei diesem Transport hat [der Gefängnisarzt] Dr. Schnappauf unfähige Häftlinge auf den Marsch geschickt.“ Unmittelbar vor dem Abmarsch hatten Hennings und der stellvertretende Gefängnisarzt Mau die im Hof Angetretenen noch einmal inspiziert und einige von ihnen aufgrund ganz offensichtlicher Marschunfähigkeit aussortiert. Es ist anzunehmen, dass die Zurückgebliebenen dann auf Lastwagen nach Kiel transportiert worden sind.[37]

Auf dem Weg nach Ochsenzoll

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[31] Protokoll der Befragung des Angeklagten Hahn durch seinen Verteidiger Dr. Hermann während des Prozesses, in: WO 235/409, S.112.

[32] Beeidete Erklärung von Bruno Schlenstedt, in: WO 235/410 (Exhibit 24).

[33] Beeidete Erklärung von Kurt Ewald, in: WO 235/410 (Exhibit 23).

[34] Hoch, S.310.

[35] Beeidete Erklärung von Kurt Ewald, in: WO 235/410 (Exhibit 23) und Sherman, S.126.

[36] Protokoll des ersten Prozesstages, in: WO 235/407, S.6.

[37] Befragung von Johann Hahn, in: WO 235/409, S.113. Vgl. dazu auch die Erklärung von Minna Lieberam, in: WO 235/410 (Exhibit 19).