Der Mord vor Bad Bramstedt

Transportführer Schütte hatte offensichtlich Kaltenkirchen mit seiner Kolonne am Morgen des 13. April schon sehr früh verlassen und nicht mehr mitbekommen, was sich in der Kolonne von Hennings noch ereignete. Er sagte später aus: „Die erste Nacht verbrachten wir [in] Kaltenkirchen. Am nächsten Morgen fehlten 4 Mann. Wir durchsuchten die Scheune und fanden einen, der sich im Stroh versteckt hatte. Er wurde auf den Marsch mitgenommen und unterwegs von mir erschossen. Als ich ihn erschoss, machte er keinen Fluchtversuch.“ Diese Offenheit und Eindeutigkeit in der Aussage ist im Vergleich zu anderen Äußerungen der Angeklagten als durchaus ungewöhnlich einzustufen. Erstaunlich ist auch die Zusatzerklärung von Schütte: „Ich habe Tessmann's Befehl betreffs Fluchtversuche für richtig befunden und habe folgendessen den Gefangenen erschossen. Ich hätte dem Befehl genau so zuwider handeln können.“[53] Vielleicht hat Schütte gar nicht verstanden, was er hier zu Protokoll gegeben hat, oder es hat sich bei ihm um einen ausgeprägten Überzeugungstäter gehandelt.

Die von Schütte angeführte Gruppe wird von Kaltenkirchen über Nützen und Lentföhrden auf der Reichsstraße 4 nach Bad Bramstedt marschiert sein. Und deshalb ist anzunehmen, dass es sich bei dem von Schütte Erschossenen um Hamid Chamido gehandelt hat, denn dieser ist am 13. April 1945 „in Bad Bramstedt, Altonaerstrasse bei den Mergelkuhlen auf der Flucht erschossen worden“. So steht es jedenfalls in seiner vom Standesamt in Bad Bramstedt ausgestellten Sterbeurkunde. Chamido wird dort als „Konzentrationslager-Angehöriger“ bezeichnet. Polizeimeister Glas hatte den Toten bei den „Mergelkuhlen“ gefunden. Diese befanden sich am südlichen Stadtrand von Bad Bramstedt in Höhe der Siedlung von Marienhagen, d.h. westlich der ehemaligen Reichsstraße 4 und südlich des Weges nach Bissenmoor. Für den Prozesses war sogar ein sehr übersichtlicher Lageplan angefertigt worden, aus dem der genaue Fundort der Leiche ersichtlich ist: 8 m vom Straßenrand entfernt, in einer kleineren Mergelkuhle.[54]

[Zeichnung mit Tatort „Mergelkuhlen“]

Gesicherte Hinweise auf weitere Todesopfer in diesem Abschnitt des Marsches gibt es nicht. Der Kaltenkirchener Polizist Zienau konnte dem Militärgericht lediglich vom Hörensagen mitteilen: „There was one shot between Ulzburg and Kaltenkirchen and two between Lentföhrden and Bad Bramstedt.“[55] Genauere Angaben konnte er nicht machen. Wilhelm Hennings und Johann Hahn, die den Tatort vor Bad Bramstedt mit ihrem Transport zeitlich verzögert passiert haben müssen, sind im Verlauf des Prozesses nicht mit dem dortigen Geschehen konfrontiert worden. Es kann deshalb mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Hamid Chamido zur Kolonne von Otto Schütte gehörte.

Bisher war immer noch ungeklärt, wo die Marschkolonnen am zweiten Abend übernachtet haben. Eine Antwort auf diese Frage findet sich im zusammenfassenden Abschlussplädoyer des Verteidigers von Wilhelm Hennings. Der Rechtsanwalt Dr. Block führte u.a. aus: „Dorotheental. Here, the column stayed overnight during the second night from Friday to Saturday, (13th to 14th April 1945) on the farm of the witness Kollster. This witness recognised the defendant Hennings by his name. He states, … that on his farm potatoes and milk-soup were cooked for the prisoners.“[56] Der letzte Satz sollte wiederum das „fürsorgliche“ und „verantwortungsbewusste“ Verhalten des Angeklagten verdeutlichen.

Dorotheental (Sonnabend, 14.April 1945)

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[53] Vernehmungsprotokoll Schütte, in: WO 235/410 (Exhibit 11).

[54] Eine Abschrift der Sterbeurkunde für Hamid Chamido befindet sich in WO 235/410 (Exhibit 28). Sie ist aber auch von Detlef Korte (S.195) faksimile abgedruckt worden. Die Lageskizze vom Tatort südlich von Bad Bramstedt ist ebenfalls in WO 235/410 (Exhibit 36) zu finden. Der Schriftverkehr mit dem Bürgermeister und dem Standesamt von Bad Bramstedt ist erhalten in WO 309/967.

[55] Aussage Zienau, in: WO 235/407 (S.24).

[56] WO 235/411 (S.13).