V. Die Beschäftigungsverhältnisse in den Arbeitsamtsbezirken Schleswig-Holsteins

Für die einzelnen Arbeitsamtsbezirke ergeben sich nach Jaspersen folgende Beschäftigungsverhältnisse: Gemessen an der Wohnbevölkerung besaß Kiel mit 42,8 % den höchsten Beschäftigungsgrad, gefolgt von Bad Oldesloe (41,2 %) und weit abgeschlagen Flensburg (25,2 %). Der Arbeitsamtsbezirk Flensburg wies als einziger eine höhere Beschäftigung von deutschen Frauen als von deutschen Männern auf. Ein hoher Beschäftigungsgrad bildete jedoch keine zwingende Voraussetzung für eine hohe Ausländerschäftigung. In Kiel stellten die ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangenen lediglich 21,6 % aller Arbeitskräfte dar.

Tabelle 5: Beschäftigungsverhältnisse von Ausländern in den schleswig-holsteinischen Arbeitsamtsbezirken

Arbeitsamtsbezirk Beschäftigungsgrad Ausländeranteil
Bad Oldesloe 41,2% 36,6%
Elmshorn 28,5% 26,7%
Flensburg 25,2% 28,8%
Heide 30,6% 43,4%
Kiel 42,8% 21,6%
Lübeck 39,0 30,3%
Neumünster 33,5% 36,6%

Im Wirtschaftszweig 1 (Landwirtschaft) waren in einigen Arbeitsamtsbezirken deutlich mehr ZwangsarbeiterInnen als deutsche Arbeitskräfte vertreten. Diese Tendenz wurde durch den Einsatz der Kriegsgefangenen verstärkt. Im Bereich Landwirtschaft wurden - prozentual gesehen - die meisten Ausländer/innen im Arbeitsamtsbezirk Elmshorn beschäftigt. Hier waren 72 % aller in der Landwirtschaft Tätigen Ausländer.

[Abbildung: In der Landwirtschaft beschäftigte Kriegsgefangene in Delve]

Der Schwerpunkt der Eisen-, Stahl - und Metallwarenherstellung (Wirtschaftszweige 13-16) lag in Lübeck. Hier wurden verhältnismäßig viele Zwangsarbeiterinnen eingesetzt. Der Anteil der Ausländer an allen Beschäftigten in Lübeck betrug in diesem Bereich 56 %.

Kiel als Standort der meisten Industriebetriebe bildete das Zentrum des Maschinen-, Kessel-, Apparate- und Fahrzeugbaus (Wirtschaftszweig 17) mit einem allerdings eher geringen Anteil von ca. 16,7 % Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangenen. Bezogen auf die Provinz Schleswig-Holstein waren es in diesem Wirtschaftszweig 21,9 %.

[Abbildung: Unfallmeldung für einen Kriegsgefangenen]

Das Arbeitsamt Bad Oldesloe beheimatete den Schwerpunkt der Chemischen Industrie (Wirtschaftszweig 20) mit einem Ausländeranteil von 62,6 %.

Tabellen für die Arbeitsamtsbezirke

Neben den regionalen Produktionsschwerpunkten treten in den einzelnen Wirtschaftszweigen zwischen den Arbeitsamtsbezirken erhebliche Unterschiede in dem Beschäftigungsgrad von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern auf. In der folgenden Tabelle wird dies an zwei Wirtschaftszweigen aufgezeigt.

Tabelle 6: Beschäftigungsanteil der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in den Wirtschaftszweigen

Arbeitsamtsbezirk Wirtschaftszweige 13 - 16 Wirtschaftszweig 17
Bad Oldesloe 47,0% 37,6%
Elmshorn 31,0% 18,9%
Flensburg 16,7% 26,3%
Heide 39,7% 39,6%
Kiel 32,5% 16,7%
Lübeck 56,0% 29,7%
Neumünster 37,7% 31,8%

Die erheblichen Differenzen der Ausländerbeschäftigung von bis 21,8 Prozentpunkten zwischen den Arbeitsamtsbezirken in Schleswig-Holstein[12] , die großen Unterschiede in den einzelnen Wirtschaftszweigen in Schleswig-Holstein, die auch zwischen den Landesarbeitsamtsbezirken des Reiches auftraten[13], belegen die Notwendigkeit konkreter und lokalbezogener Forschungen zu den Gründen eines hohen oder niedrigen Ausländeranteils. Die oben genannten Beispiele belegen, dass die in neuerer Literatur enthaltenen generalisierenden Aussagen - ursächlich für die überproportinale Ausländerbeschäftigung wären die Rüstungsproduktion und die Landwirtschft[14] - praktisch keinen Informationsgehalt besitzen. Auch die Aussage, der frühe und überproportionale Einsatz von Ausländern gelte auch für andere Agrarregionen[15] , verbleibt im Allgemeinen. Schließlich gab es ebenfalls landwirtschaftlich geprägte Regionen, z. B. den Landesarbeitsamtsbezirk Alpenland, die anfänglich unterdurchschnittlich wenig Zwangsarbeiter beschäftigten.[16]

Soweit in Regionalstudien Aussagen zu den Gründen des Zwangsarbeitseinsatzes getroffen werden sollen, wäre beispielsweise zu untersuchen, warum in Flensburg im Wirtschaftszweig 13/16 die Ausländerbeschäftigung deutlich unter derjenigen Kiels lag, während sich die Verhältnisse im Wirtschaftszweig 17 umgekehrt gestalteten.

Faktoren, die unter anderem berücksichtigt werden müssten, wären der Frauenanteil an den Beschäftigten, die Frage der Qualifikation der Belegschaftsangehörigen, die Größe des Betriebes, die Altersstruktur[17] der Betriebsangehörigen, die Einberufungen zur Wehrmacht und die Frage, ob durch "Dienstverpflichtungen" Arbeitskräfte umgesetzt wurden. Auf Grund seiner Untersuchungen in verschiedenen Unternehmen äußert auch U. Herbert Vorbehalte gegen generalisierende Aussagen, "weil präzise Festlegungen wohl nur für die spezifischen Verhältnisse in den einzelnen Betrieben und Abteilungen zutreffen."[18]


[12] Auch die Arbeitsbucherhebung vom 15.8.1941 verzeichnet zwischen dem Schlusslicht Flensburg mit einer Beschäftigung von 6,6 % Ausländer und Heide (18,3 % jeweils ohne Kriegsgefangene) erhebliche Unterschiede. Diese und spätere Zahlen belegen im Übrigen, dass Dankers Behauptung einer frühzeitigen Expansion der Ausländerbeschäftigung für die Flensburger Region unrichtig ist. Siehe Robert Bohn/Uwe Danker/Nils Köhler (hg.), Der "Ausländereinsatz" in Flensburg 1939-1945. Bielefeld 2002, S.50ff.

Weitere Kritikpunkte zur Publikation des IZRG über Flensburg

[13] Ausländeranteil im Wirtschaftszweig 17: Oberschlesien 15,3 %, Mecklenburg 36,8 %.

[14] Danker 2001, S.70.

[15] Danker 2001, S.65.

[16] Dr. Scharlau, Regierungsrat im Reichsarbeitsministerium, Umfang und Struktur des Arbeitseinsatzes von Ausländern im Deutschen Reich. Geheime Sonderveröffentlichung des Reichsarbeitsblattes. Berlin 1941, S.14. Seine Ausführungen beziehen sich auf die Arbeitsbucherhebung vom 25.4.1941. Die von Danker als Beleg für die frühe und überproportionale Ausländerbeschäftigung in Agrarregionen wiedergegebenen Karten (S.64) sind wenig aussagekräftig, da diese keine Wirtschaftsdaten und Gründe für die Ausländerbeschäftigung bieten. Niedersachsen und Pommern bildeten die beiden Regionen mit den höchsten Ausländeranteilen im April 1941. Im ersten Bezirk erfolgte laut Dr. Scharlau der Zwangsarbeiterseinsatz überwiegend im gewerblichen Sektor und nicht in der Landwirtschaft während sich die Verhältnisse in Pommern umgekehrt gestalteten. Zusätzlich ist es methodisch abwegig, wenn Danker eine Entwicklung, die bis in das Jahr 1943 reichte, mit zwei Karten aus dem Jahre 1941 belegen will.

[17] Im Arbeitseinsatz Nr. 2/3 von 1944 befindet sich für den 15. November 1943 eine Aufschlüsselung der Altersstruktur (Zahlen und Prozente) der deutschen Beschäftigten für Schleswig-Holstein. Von insgesamt 401.615 Arbeitskräften waren 220.623 männlich und 180.922 weiblich.

Tabelle: Alters- und Geschlechtsrelation deutscher Arbeitskräfte in Schleswig-Holsteien

Jahrgang Männer Frauen
1926 und jünger 25.213 (11,4%) 25.524 (14,1%)
1919 - 1925 13.759 (6,2%) 54.147 (29,9%)
1899 - 1918 83.347 (37,8%) 71.215 (39,3%)
1879 - 1898 81.661 (37,0%) 28.519 (15,8%)
1878 und älter 16.643 (7,6%) 1.587 (0,9%)

[18] Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des ‚Ausländer-Einsatzes' in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Bonn. Neuauflage 1999, S.267.