Das Schicksal von Krystyna Strozyk (13 Jahre) und Krystyna Wiatr (14 Jahre) aus Poznan [1]

Krystyna Strozyk war an einem der letzten Apriltage des Jahres 1940 in Poznan mit der Straßenbahn gefahren. Diese wurde unterwegs von SS- Angehörigen gestoppt, alle Insassen mussten aussteigen und wurden auf eine Polizeidienststelle gebracht. Krystyna war damals 13 Jahre alt. Aber auch ihr wurde mitgeteilt, dass sie sich am 5. Mai am Bahnhof einzufinden habe, um mit einem Sammeltransport zur Arbeit nach Deutschland zu fahren.

Mit dieser Schreckensmeldung kam sie nach mehreren Stunden Aufenthalt bei der Polizei nach Hause. Die Eltern versuchten in den nächsten Tagen, eine Befreiung für ihre Tochter zu erreichen, doch bei den deutschen Besatzungsbehörden war keinerlei Einfühlungsvermögen vorhanden: Sofern das Kind(!) den Abreisetermin nicht wahrnehmen sollte, würde die ganze Familie das zu spüren bekommen. Das hätte dann eine Einweisung der Familie in ein Konzentrationslager oder die zwangsweise Umsiedlung in das Generalgouvernement bedeutet. So blieb dem Mädchen nichts anderes übrig, als die Reise ins Ungewisse anzutreten.

Die damals vierzehnjährige Krystyna Wiatr musste sich im April 1940 beim "Arbeitsamt" in Poznan melden. Sie hatte nach Beendigung der Schulzeit versucht, in einer Poznaner Fabrik Arbeit zu finden. Nach Ansicht der deutschen Beamten auf dem Arbeitsamt war sie dafür aber zu jung. Deshalb sollte sie lieber beim Ernteeinsatz in der deutschen Landwirtschaft helfen. Man versprach ihr, dass der Einsatz auf drei Monate befristet sei. Aus den "drei Monaten" wurden allerdings dreieinhalb Jahre!

[Polen war unmittelbar nach der Eroberung und Besetzung durch deutsche Soldaten im Herbst 1939 mit einem lückenlosen System von Arbeitsämtern überzogen worden.]

So kam es, dass sich die beiden Krystynas am Morgen des 5. Mai 1940 auf dem Bahnhof von Poznan trafen und gemeinsam mit vielen anderen Männern und Frauen, Jungen und Mädchen in einem Personenzug die Reise nach Deutschland antraten. Die Fahrt wurde zum ersten Mal in Luckenwalde (südlich von Berlin) für zwei Tage unterbrochen. Als Quartier wurden die Baracken eines Soldatenstrafbataillons benutzt.

Alle Polen mussten sich ausziehen, ihre Kleidungsstücke wurden desinfiziert, und sie selbst mussten duschen. Die beiden Mädchen befanden sich zusammen mit 60 anderen Frauen und Mädchen in einem Duschraum. Das Wasser war zuerst eiskalt und dann siedend heiß. Die Umstände waren insbesondere für einige ältere Frauen unerträglich. Sie schrien um Hilfe, doch keiner kümmerte sich um die für längere Zeit im Duschraum eingeschlossenen Frauen. Nach Beendigung dieser Tortur musste jede ihre desinfizierten Kleidungsstücke einzeln aus einem großen zusammengeworfenen Haufen heraussuchen. Diese entwürdigende Behandlung der Polinnen in Luckenwalde war damit aber noch nicht beendet. Die Mädchen und Frauen erhielten alle eine Spritze, die das Einsetzen ihrer Regel verhindern sollte. Für die jüngsten unter den Mädchen hatte diese Spritze in mehreren Fällen zur Folge, dass sie kinderlos blieben. So auch für Krystyna Strozyk.

Die zweite Zwischenstation wurde in Kassel gemacht. Alle Zuginsassen wurden zum dortigen Arbeitsamt gebracht und dann zum Weitertransport aufgeteilt. Die beiden Krystynas und einige andere kamen nach Homberg (Regierungsbezirk Kassel) und wurden dort - wiederum vor dem dortigen Arbeitsamt - schon von einer Schar Bauern aus der Umgebung erwartet. Die Bauern nahmen die Menschen(!) aus Polen in Augenschein, musterten sie ganz genau und wählten dann insbesondere nach dem Kriterium der Arbeitsfähigkeit aus. Für die Bauern war das wohl eine normale berufsorientierte Tätigkeit.

Die beiden Mädchen hatten Glück. Sie blieben zusammen und kamen mit drei weiteren Mädchen aus Poznan in das kleine Dorf Salzberg, wo es nur 15 Bauernstellen und höchstens 100 Einwohner gab. Die jungen Polinnen mussten zwar körperlich schwer auf dem Feld und im Haus "ihres" Bauern arbeiten, sie wurden aber insgesamt nicht schlechter behandelt als deutsche Landarbeiter. Die Bauern legten bei der Feldarbeit selbst mit Hand an, und außerdem galt in dem Dorf der Satz: "Wer zusammen arbeitet, soll auch zusammen essen." Die polnischen Mädchen durften deshalb bei den Mahlzeiten mit am Tisch der Bauernfamilie sitzen und essen. Sie hatten eine eigene, wenn auch kleine Kammer zu ihrer Verfügung. Die Entlohnung war unterschiedlich: Während Krystyna Wiatr 10 RM pro Monat erhalten hat, musste Krystyna Strozyk unentgeltlich arbeiten. Den Mädchen war es erlaubt, einen Brief in der Woche nach Hause zu schreiben. Diese Möglichkeit haben sie regelmäßig genutzt.

 


[1] Der Verfasser war 1995 in Polen und hat dort drei ehemalige Zwangsarbeiter der Baufirma Habermann & Guckes besucht. Im Rahmen dieses Besuchsprojektes lernte er zufällig Krystina Strozyk und Krystyna Wiatr kennen, denen sehr daran gelegen war, über ihre Erlebnisse als nach Deutschland deportierte Kinder zu berichten. Siehe dazu Uwe Fentsahm: Auf den Spuren der polnischen Zwangsarbeiter in Wattenbek - oder: Die etwas andere Urlaubsreise, in: Mitteilungen des Geschichtsvereins für das ehemalige Amt Bordesholm, Heft 4 (1995), S.14 ff. [auch online verfügbar]

Zurück