Die Kennzeichnung der "Ostarbeiter" 1942

"Allgemeine Bestimmungen über die Anwerbung und Einsatz von Arbeitskräften aus dem Osten"
[Erlass des Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern vom 20. Februar 1942][1]

 

 

Aus der einleitenden Formulierung kann zwischen den Zeilen herausgelesen werden, dass Heinrich Himmler nicht unbedingt ein Befürworter des Einsatzes von zivilen Arbeitskräften aus dem Osten im Reichsgebiet war: "Nachdem der Herr Reichsmarschall [Göring] den Einsatz von Arbeitskräften aus den neu besetzten Ostgebieten im Reich befohlen hat, ist es erforderlich, Anwerbung und Einsatz dieser neu hereinkommenden Arbeitskräfte nach polizeilichen Gesichtspunkten zu regeln."[2]

In diesem Sinne lieferte Himmler zunächst eine Definition der neu zu erwartenden Menschengruppe: "Als Arbeitskräfte aus dem altsowjetischen Gebiet gelten diejenigen Arbeitskräfte, die aus dem ehemals sowjetrussischen Gebiet - mit Ausnahme der ehemaligen Staaten Litauen, Lettland, Estland, des Bezirks Bialystok und des Distrikts Lemberg - zum zivilen Arbeitseinsatz ins Reich hereingebracht sind oder werden." D.h. aus der Sicht von Himmler (und anderen führenden Nationalsozialisten) existierte die Sowjetunion im Februar 1942 nicht mehr.

"Für die gesamte Behandlung dieser Arbeitskräfte ist ausschlaggebend, dass sie jahrzehntelang unter bolschewistischer Herrschaft gelebt haben und systematisch zu Feinden des nationalsozialistischen Deutschland und der europäischen Kultur erzogen worden sind." Diese Denkweise ist mitverantwortlich dafür gewesen, dass Himmler starke Vorbehalte gegen den Arbeitseinsatz dieser neuen Ausländer im Reich gehabt hat. Er meinte, die deutsche Bevölkerung jetzt durch besonders strenge Maßnahmen schützen zu müssen.

I. "Die Anwerbung der Arbeitskräfte aus dem altsowjetischen Gebiet erfolgt durch Anwerbekommissionen des Reichsarbeitsministerums, denen die Weisung gegeben ist: nach Möglichkeit nur Personen anzuwerben, die bereits am 22.6.1941 in dem Anwerbegebiet gewohnt haben; bei dieser Anwerbeaktion keine Volksdeutschen anzuwerben; außer den unbedingt erforderlichen und als solche zu bezeichnenden Dolmetschern und Kolonnenführern keine deutschsprechenden Personen anzuwerben; bis auf Weiteres keine Asiaten anzuwerben; möglichst darauf zu dringen, dass die anzuwerbenden Personen einen Pass oder sonstigen Ausweis mitbringen, an Hand dessen sich die Identität feststellen lässt. Diese Ausweise werden den Arbeitskräften zunächst belassen."

II. "Die Arbeitskräfte werden nur in geschlossenen Transporten ins Reich gebracht. Dem Transportführer werden Transportlisten mitgegeben, von denen ein Exemplar der für den Einsatzort zuständigen Staatspolizei(leit)stelle zugeleitet wird. Die Transporte stehen unter Bewachung, die die Ordnungspolizei regelt. Sie laufen durch Entseuchungslager an der Reichsgrenze und enden meist in Durchgangslagern des für den Einsatzort zuständigen Landesarbeitsamtes. Die Bewachung der Durchgangslager übernimmt das Bewachungsgewerbe. Von diesen aus erfolgt auch die Verteilung der Arbeitskräfte auf die Einsatzbetriebe. Von den Durchgangslagern werden dei Arbeitskräfte von den Wachmannschaften der Betriebe abgeholt. Im Einzelfall werden auch Transporte unmittelbar bei größeren Einsatzbetrieben enden."

III. "Während des Aufenthalts der Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiet im Reich sind diese streng von der deutschen Bevölkerung, ausländischen Zivilarbeitern und allen Kriegsgefangenen abzusondern. Nach dem Befehl des Herrn Reichsmarschalls dürfen die Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiet in den Betrieben grundsätzlich nur in geschlossenen Kolonnen eingesetzt werden. In Landwirtschaftlichen Betrieben können männliche und weibliche Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiet auch einzeln zur Arbeit eingesetzt werden. Die Männer müssen jedoch geschlossen untergebracht und nach Möglichkeit auch gemeinschaftlich verpflegt werden."

IV. "Entsprechend der Abschließung der Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiet von der deutschen Bevölkerung sind sie in geschlossenen Lagern (Baracken) mit einer zweckentsprechenden, möglichst mit Stacheldraht versehenen Umzäunung unterzubringen. Wo dies im Einzelfall - etwa in der Landwirtschaft - nicht möglich ist, muss die Unterkunft fest verschließbar und gut zu überwachen sein. Im Einvernehmen mit den Dienststellen der Reichsarbeitsverwaltung haben die Staatspolizei(leit)stellen die für die Unterbringung dieser Arbeitskräfte vorgesehenen Unterkünfte vorher auf ihre Eignung zu prüfen und abzunehmen."

V. "Die geschlossen eingesetzten und untergebrachten Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiet müssen dauernd unter Bewachung stehen."

VII. "Die Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiet bedürfen eines Ausweises lediglich auf dem Wege vom und zum Arbeitsplatz, am Arbeitsplatz selbst und in den Unterkünften, da ihnen die sonstige freie Bewegung in der Öffentlichkeit untersagt ist. Als Ausweis ist - wie bei den Polen - die Arbeitskarte (mit Grün- bezw. Grauzettel) auszugestalten und mit Lichtbild, Fingerabdruck und polizeilichem Vermerk zu versehen. ... Um die Beschränkung der Gültigkeit des Ausweises für Arbeitsplatz und Unterkunft kenntlich zu machen, erhält die Arbeitskarte den Aufdruck: Inhaber ist nur zum Zwecke der Arbeitsverrichtung zum Verlassen der Unterkunft berechtigt."

VIII "Die Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiet haben während ihres Aufenthalts im Reich auf der rechten Brustseite eines jeden Kleidungstückes ein mit diesem fest verbundenes Kennzeichen stets sichtbar zu tragen. Das Kennzeichen besteht aus einem hochstehenden Rechteck von 70mm X 77 mm und zeigt bei 10 mm breiter blauweißer Umrandung auf blauem Grunde in weißer Schrift das Kennwort "Ost".

 

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[1] Der Erlass wurde abgedruckt in: Allgemeine Erlass-Sammlung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD unter der Rubrik 2 A III f, S.24-35 (Anlage 1 zu einem Schreiben des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei).

[2] Nach Angaben von Ulrich Herbert hatte sich Himmler im September 1941 noch "grundsätzlich gegen den Einsatz ziviler sowjetischer Arbeitskräfte" auf dem Gebiet des Deutschen Reiches ausgesprochen. Ulrich Herbert: Fremdarbeiter, 2. Auflage 1986, S.154.

© Uwe Fentsahm (Brügge, April 2021)