2. Zur Arbeit gezwungen ...

Zwangsarbeit hat es zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte gegeben. Das Volk Israel leistete in Ägypten und Babylon Zwangsarbeit, Millionen Afrikaner wurden als Sklaven nach Nordamerika verschleppt und die einheimische Bevölkerung Lateinamerikas wurde von den Eroberern unterworfen. Doch Zwangsarbeit ist kein Phänomen vergangener Epochen. "Der nationalsozialistische Ausländereinsatz zwischen 1939 und 1945 stellt den größten Fall der massenhaften, zwangsweisen Verwendung von ausländischen Arbeitskräften in der Geschichte der Neuzeit seit dem Ende der Sklaverei im 19. Jahrhundert dar".[5]

Es war Hitlers Absicht, der deutschen Bevölkerung möglichst geringe Einschränkungen durch die Kriegsführung aufzuerlegen. Der Grund hierfür ist in seiner "traumatischen Erfahrung von 1918 ... zu suchen, als die Massen sich, erschöpft und abgekämpft, auf die Straßen begaben und eine jahrhundertealte Ordnung zum Einsturz gebracht hatten".[6] Die deutsche Konsumgüterindustrie wurde daher - anders als im 1. Weltkrieg oder beispielsweise in England - kaum eingeschränkt. Auch der Arbeitseinsatz der Frauen wurde trotz des wachsenden Mangels an Arbeitskräften aus ideologischen Gründen allenfalls ansatzweise eingeführt. Die Zahl der weiblichen Arbeitskräfte erhöhte sich nur unwesentlich während der Dauer des Krieges von 14,6 auf 14,8 Millionen.[7] Aber auch die konsequente Einführung der Schichtarbeit in der Industrie zur Steigerung der Kapazitäten war noch Anfang 1942 kaum vorhanden.[8]

Diese Angaben lassen die Schlußfolgerung zu, daß es der Arbeitsverwaltung offensichtlich bis dahin nicht in vollem Umfang gelungen war, ihrer Aufgabe, den Arbeitseinsatz insgesamt als "planmäßige Lenkung der Arbeitskräfte des Volkes nach den übergeordneten Gesichtspunkten der Staatspolitik" zu sichern, gerecht zu werden.[9] Zur Realisierung der Zielvorgaben der Arbeitsverwaltung wurde ab 1935 für alle Arbeitnehmer die Führung eines Arbeitsbuches eingeführt. Die totale Lenkung der Arbeitskräfte setzte allerdings erst mit Beginn des Krieges am 1.9.1939 ein. In den Ahrensböker Nachrichten ist am 8.9.1939 zu lesen, daß die Sicherung der Kriegswirtschaft den restlosen Einsatz der Arbeitskräfte des deutschen Volkes erfordert. Eine Lenkung des Arbeitseinsatzes sei daher unerläßlich. Dazu bedürfe es nunmehr der Zustimmung des Arbeitsamtes ebenso bei der Lösung eines Arbeitsverhältnisses wie bei der Einstellung von Arbeitskräften. Im Frühjahr 1943 erhielten auch die ausländischen Zivilarbeiter ein Arbeitsbuch.

Die Situation änderte sich erst - zum Teil nur ansatzweise - mit dem Ende der sogenannten Blitzkriege im Winter 1941/1942. Nunmehr waren umfassende Anstrengungen unerläßlich, um die industrielle Produktion den Bedürfnissen des Krieges anzupassen. Am 8.2.1942 wurde Albert Speer zum Reichsminister für Bewaffnung und Munition bestellt. In seinen Erinnerungen hat Speer ausgeführt, daß es zu diesem Zeitpunkt darum gegangen sei, "das Land erst auf die Kriegsführung umzustellen". Wenig später ersuchte Speer Hitler, einen "Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz" zu ernennen. Diese Funktion wurde am 21.3.1942 dem Gauleiter von Thüringen, Fritz Sauckel, übertragen. Mit ihm beginnt ein Anziehen der Schraube in den Bemühungen, ausländische Arbeitskräfte "auszuheben".

"Eine der wichtigsten Aspekte dieser Mobilisierung der Arbeitskräfte war die systematische und mit Gewalt durchgesetzte Ausbeutung des Arbeitskräftepotentials der besetzten Gebiete. Kurz nachdem Sauckel seine Arbeit aufgenommen hatte, ließ er durch die Behörden der verschiedenen besetzten Gebiete Beschlüsse verkünden, die zum Arbeitseinsatz in Deutschland verpflichteten. Aufgrund dessen konnten Sauckels Kommissare, mit Unterstützung der Polizei und der Armee in den besetzten Gebieten, die erforderliche Anzahl von Arbeitern rekrutieren und nach Deutschland entsenden. Das Anwerbesystem, das ´freiwillig´ zu sein vorgab, wurde von Sauckel bei einer Konferenz beschrieben; seine Erklärung am 1.März 1944, derzufolge von 5 Millionen Fremdarbeitern, die zu dem Zeitpunkt in Deutschland beschäftigt waren, nicht einmal 200.000 freiwillig gekommen waren, zeigt, daß die wirklich freiwillige Anwerbung ziemlich selten war".[10]

"Im August 1944 waren auf dem Gebiet des `Großdeutschen Reiches´ 8 Millionen ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene als im Arbeitseinsatz beschäftigt gemeldet; hinzu kamen etwa 500.000 überwiegend ausländische KZ-Häftlinge. Somit waren zu diesem Zeitpunkt knapp 30% aller in der gesamten Wirtschaft des Reiches beschäftigten Arbeiter und Angestellten Ausländer, ... ".[11]

Nachdrücklich entgegenzutreten ist daher der gelegentlich zu hörenden Auffassung, die ausländischen Arbeitskräfte seien ganz oder überwiegend freiwillig nach Deutschland gekommen. Die oben zitierte Aussage von Sauckel kann ausreichender Beleg dafür sein, daß es so nicht war. Gleichwohl hat es - in Ahrensbök nachweisbar - anfängliche Versuche gegeben, Arbeitskräfte ´freiwillig´ anzuwerben. Als Beleg hierfür kann auf einen Wochenbericht des stellvertretenden Gauleiters von Schleswig-Holstein unter dem 1.11.1941 an die Parteizentrale in München hingewiesen werden, in dem unter anderem vom "Anwerben ausländischer Arbeitskräfte", von einer "nur halbjährlichen Arbeitsverpflichtung mit anschließender Rückkehr in die Heimat" sowie der Absicht, die Arbeitsverträge künftig auf ein Jahr zu verlängern, die Rede ist.[12] Wegen offenbar nur unzureichender Anwerbeerfolge wurden jedoch schon bald strengere Maßnahmen ergriffen, um die benötigten Arbeitskräfte zu bekommen

In den besetzten Ländern bestanden sogenannte "Anwerbekommissionen". Sie hatten nach einem streng vorgegebenen Verfahren zu bestimmten Terminen eine vorgegebene Anzahl von Arbeitskräften zu rekrutieren und in das Reich zu transportieren. Besatzungsverwaltung, Polizei, Militär und Arbeitsverwaltung arbeiteten dabei eng zusammen. "Ende 1943 versahen insgesamt knapp 2.500 Mitarbeiter (der Arbeitsverwaltung, N. F.) in den besetzten Ländern ihren Dienst, allein in der Sowjetunion fast 1.000".[13]

Bezogen auf die Verhältnisse in Polen hat Ingaburgh Klatt auf der Grundlage der Auswertung von Schilderungen betroffener Polinnen und Polen fünf Kategorien einer zeitlich gestaffelten Vorgehensweise erarbeitet:

  • die Deportation von Kriegsgefangenen,
  • die Anwerbung von ´Freiwilligen´,
  • die Dienstverpflichtung von Polinnen und Polen,
  • das Ergreifen von Einzelnen oder Gruppen auf Straßen, in Kinos etc.
  • die Deportation von ganzen Familien, verbunden mit der Einziehung des bäuerlichen Grundbesitzes und Weitergabe an ´volksdeutsche´ Bauern.[14]

Bei Ulrich Herbert sind Fälle eines "ungeregelten Menschenfangs" und die "Umstellung ganzer Dörfer" nachgewiesen.[15]

Angesichts des Umfangs der im Deutschen Reich zum Einsatz gelangten Polen ist darauf hinzuweisen, daß im Laufe des Jahres 1940 insbesondere die polnischen Kriegsgefangenen in den Status von Zivilarbeitern überführt wurden. Durch diese Maßnahme wurden die nach internationalem Recht bestehenden Beschränkungen bei der Arbeitsverpflichtung von Kriegsgefangenen umgangen.

Quellen zur Beurteilung des Arbeitseinsatzes von Kriegsgefangenen in der Gemeinde Ahrensbök stehen derzeit kaum zur Verfügung. Die Ausländermeldekartei umfaßt nur die zivilen Kräfte, nicht jedoch die Kriegsgefangenen. Sie wurden im zuständigen Stammlager XA (Stalag) Schleswig erfaßt und als Arbeitskommandos im Zuständigkeitsbereich eingesetzt. Einem Besuchsbericht des IKRK zufolge ist von 3.000 bis 4.000 Arbeitskommandos für den Bereich des Stalag XA (Schleswig-Holstein, Hamburg, nördl. Niedersachsen) auszugehen. Die Arbeitskommandos waren unterschiedlich groß. Die Größe hing offensichtlich vom jeweiligen Arbeitskräftebedarf und der Unterbringungsmöglichkeit ab. Sie standen unter der Aufsicht von Wehrmachtspersonen.[16]

Neben französischen sind sowjetische Kriegsgefangene in Ahrensbök nachgewiesen. Auf das Schicksal der Gefangenen aus der UdSSR soll kurz hingewiesen werden. Der Krieg gegen die UdSSR stand ganz unter den weltanschaulichen Zielen des NS-Staates, die im "Barbarossa-Erlaß" und im "Kommissar-Befehl" kulminierten. Der deklarierte "Vernichtungskampf" hatte zur Folge, daß von den nach den Akten der Wehrmacht gefangen genommenen 5,7 Millionen Rotarmisten 3,5 Millionen (57%) verhungerten, erfroren, vor Erschöpfung starben oder umgebracht wurden.[17] Demgegenüber starben von den 1,9 Millionen französischen Kriegsgefangenen nur 14.147 in der Gefangenschaft.[18]

Zur Situation der sowjetischen Kriegsgefangenen kann man gleiches einem Schreiben des Kreisleiters von Norderdithmarschen an die Gauleitung Schleswig-Holstein vom 18.12.1941 entnehmen, in dem es heißt: "Von den hier eingetroffenen Transporten ist ein großer Teil wegen Krankheit noch nicht zum Einsatz gekommen. Ein großer Prozentsatz ist auch bereits gestorben. Allein in Heide sind in zwei Tagen bereits 15 sowjetische Kriegsgefangene gestorben. Alle hier eintreffenden sowjetischen Gefangenen sind vollkommen verhungert und können sich zum Teil nicht mehr mit eigener Kraft vorwärts bewegen".[19] Andererseits ist hinsichtlich der französischen Kriegsgefangenen in einem Bericht der Kreisleitung Segeberg an die Gauleitung Schleswig-Holstein vom 1.11.1941 zu lesen: "Die französischen Kriegsgefangenen haben sich in der Landwirtschaft bisher bestens bewährt. Es ist deshalb zu begrüßen, daß reine französische Kriegsgefangenenlager nicht mehr der vollen Bewachung unterliegen."[20] Ähnliche Aussagen werden auch von anderen Stellen gemacht.

Für Ahrensbök kann die unmenschliche Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener bestätigt werden. Die Zeitzeugin Frau R. aus Dunkelsdorf schilderte dem Verfasser, daß die sowjetischen Kriegsgefangenen zum Zeitpunkt ihrer Ankunft im Dorf völlig unterernährt und entkräftet gewesen seien. Sie seien teilweise nicht mehr imstande gewesen, einen nur leicht ansteigenden Weg zu bewältigen. Sie wisse, so der Bericht von Frau R., daß bei dieser Gelegenheit Gefangene getreten worden seien, um sie anzutreiben. Ob es dabei aber auch zu Todesfällen gekommen sei, vermöge sie nicht zu sagen. Derartige Gerüchte gibt es noch heute. Ausschließen könne sie ein solches Geschehen aber nicht, denn es habe unter den sowjetischen Kriegsgefangenen Tote gegeben, die zum Friedhof in Curau gefahren worden seien. Die Friedhofsverwaltung in Curau konnte diese Angabe nicht bestätigen. Im Beerdigungsregister sind Bestattungen von sowjetischen Kriegsgefangenen nicht registriert.

Nicht ermittelt werden konnte, ob das Gerücht zutreffend ist, daß nach dem Krieg ein Ermittlungs- bzw. Strafverfahren gegen den damaligen Verwalter des Gutes Dunkelsdorf, Fritz B., wegen der Tötung von zwei sowjetischen Kriegsgefangenen geführt worden ist.

Wegen der schwierigen Quellenlage ist eine Aussage darüber, wie viele Kriegsgefangene und welcher Nationalität in Ahrensbök zum Arbeitseinsatz gelangt sind, derzeit nicht möglich. Ich schätze, daß eine Größenordnung von mindestens 200 Gefangenen realistisch ist. Bekannt sind die nachfolgend genannten Arbeitskommandos in Ahrensbök:

  • im Oldenburger Hof in Gnissau 30 frz. Kriegsgefangene,
  • auf dem Hof Mentz in Hörsten frz. Kriegsgefangene,
  • in der ehemaligen Meierei in Schwochel frz. Kriegsgefangene,
  • auf dem Hof Heine in Siblin sowj. Kriegsgefangene,
  • auf dem Gut Dunkelsdorf sowj. Kriegsgefangene,
  • auf dem Hof Hamerich in Böbs 22 frz. Kriegsgefangene.

Erwähnt werden auch belgische und französische Kriegsgefangene, die bei verschiedenen Bauern in den Dörfern Siblin und Schwienkuhlen zum Einsatz gelangten.

Die Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen waren für die Zwangsarbeiter aus den verschiedenen Ländern nicht einheitlich geregelt. "Die Situation der Arbeiter aus dem westlichen und dem ´befreundeten´ Ausland unterschied sich dabei von derjenigen deutscher Arbeiter nicht so sehr durch die materiellen Bedingungen, sondern durch den in zunehmendem Maße deutlicher werdenden Zwangscharakter ihres Aufenthaltes im Reich, durch die alltäglichen Diskriminierungen und die Bedrohung durch ein scharfes Strafsystem. Die Lage der Arbeiter aus dem Osten ... hingegen war gekennzeichnet durch schlechte Ernährung, Bezahlung, Unterbringung und Kleidung, oft überlange Arbeitszeiten, mangelnde ärztliche Versorgung, Übervorteilung durch deutsche Vorgesetzte, Diffamierungen und Mißhandlungen sowie durch hohe Todesraten".[21]

Diese Wertung wird durch die Anweisung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, vom 20.4.1942 bestätigt, in der es heißt: "Alle diese Menschen müssen so ernährt, untergebracht und behandelt werden, daß sie bei denkbar sparsamstem Einsatz die größtmögliche Leistung erbringen". Gleiches gilt auch für die Behandlung der Kriegsgefangenen.[22]

Gleichwohl lassen sich auch andere Beispiele anführen; sie dienten jedoch dem Ziel, die Leistung der ausländischen Arbeitskräfte zu steigern. So berichtet der Kreisleiter von Norderdithmarschen, Hinrichsen, der Gauleitung Schleswig-Holstein unter dem 18.12.1941: "Von den in unserem Kreis eingesetzten Polen, wovon die Kriegsgefangenen in den letzten Monaten in Zivilarbeiter umgewandelt wurden, sind in der letzten Zeit einige Hundert mit Sonderzügen auf Urlaub in ihre Heimat geschickt worden. Dieser Urlaub sollte eine Belohnung für gute Arbeitsleistung sein".[23]

Dem Anzeiger für den Landkreis Eutin vom 23.12.1943 kann entnommen werden, daß Bestimmungen durch den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz darüber getroffen worden sind, unter welchen Voraussetzungen Ostarbeiter für eine Prämiengewährung in Betracht kommen. Es wird hervorgehoben, "daß selbstverständlich nur solche Ostarbeiter für die Prämiengewährung in Betracht kommen, die sich durch gute Leistung und Treue bei der Arbeit dauernd bewährt und ausgezeichnet haben".

Mit der schlechter werdenden militärischen Lage für Deutschland gingen offensichtlich zunehmend wachsende Probleme mit den ausländischen Arbeitskräften einher. In einem Rundschreiben der Gauleitung Schleswig-Holstein vom 27.Juni 1944 wird nach einem Hinweis der Geheimen Staatspolizei darauf hingewiesen, "daß sich in der letzten Zeit die Fälle mehren, in denen bei Arbeitsverweigerung, Aufsässigkeit usw. fremdvölkischer Arbeitskräfte nicht mit allen zu Gebote stehenden Mitteln schärfstens vorgegangen wird". Der stellvertretende Gauleiter, Sieh, weist daher "nochmals an, alle Parteigenossen und Volksgenossen eingehend darüber zu belehren, daß unter allen Umständen sämtliche Verstöße sofort den Dienststellen der Staatspolizei und wo solche nicht am Orte sind, den Gendarmeriebeamten oder Ortspolizeibehörden zu melden sind, damit diese augenblicklich einschreiten können".[24]

In einem anderen Rundschreiben vom 25.1.1945 wird zum Ausdruck gebracht, "daß fremdvölkische Arbeitskräfte in den Städten ihren Arbeitsplatz verlassen und versuchen, in den Landgemeinden unterzutauchen". Es sei sogar vorgekommen, "daß es entwichenen Häftlingen gelungen ist, auf diese Weise von Ostpreußen bis Hamburg zu gelangen". Der Gauleiter weist auf die "hiermit verbundenen Gefahren" hin und droht an, "gegen alle Verstöße mit den schärfsten Mitteln" vorzugehen.[25] Die menschenverachtende Haltung gegenüber den Menschen aus dem Osten wird auch in folgender Aussage Himmlers vom 4.10.1943 deutlich: "Ob beim Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird".[26]

Die meisten der in Ahrensbök zur Arbeit Rekrutierten waren nicht lagermäßig, sondern privat, insbesondere in der Landwirtschaft, untergebracht. Bürger aus der UdSSR wie auch aus Polen, die im Deutschen Reich arbeiteten, standen außerhalb der Vorschriften des Arbeitsrechts. Persönliche Kontakte mit der deutschen Bevölkerung waren untersagt. Der Zutritt zu Kino, Restaurant usw. war verboten. Die Bewegungsfreiheit wurde zunehmend eingeschränkt. Es wurde eine Kennzeichnung der Zwangsarbeiter eingeführt. Jeder zivile Arbeiter aus Polen mußte auf seiner Kleidung sichtbar den Buchstaben "P" tragen. Die Bürger aus der UdSSR wurden mit den Buchstaben "Ost" gekennzeichnet. Ein Auflehnen gegen Arbeitsbedingungen oder schlechte Behandlung durch den Arbeitgeber konnte schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Eigenmächtige Arbeitsniederlegungen endeten häufig mit Gefängnisstrafen, der Einweisung in ein Arbeitserziehungslager oder mit KZ-Haft. Hinweise hierfür gibt es in Meldeunterlagen Ahrensböks. Die weiteren Schicksale der hier Genannten konnten aber nicht ermittelt werden.

Im Landesarchiv Schleswig-Holstein konnten aber zwei Verfahren vor dem Sondergericht Kiel gegen Polinnen aus Ahrensbök ermittelt werden.[27] In dem Verfahren gegen Helene Krol wird diese beschuldigt, in einem Brief an ihre Eltern "vorsätzlich unwahre Behauptungen tatsächlicher Art aufgestellt zu haben, die geeignet sind, das Wohl des Reiches schwer zu schädigen". Darin liege ein Vergehen nach § 1 Abs 1 des Heimtückegesetzes vom 20.12.1934. Wegen der zu erwartenden hohen Strafe und der Wiederholungsgefahr wird Helene Krol wegen Fluchtgefahr in Haft genommen. Was war geschehen?

Helene Krol arbeitete seit dem Sommer 1940 auf dem Hof des Bauern Karl Hansen in Böbs. In einem Brief an die Eltern vom 17.10.1940, der vom SD Hohensalza abgefangen wird, schreibt sie von "Banditen, Kanaillen, Reptilien und Drachen". Diese Äußerungen, die offensichtlich gezielt auf die Anordnungen leitender Persönlichkeiten des Staates und der Partei gerichtet waren, waren nach Auffassung des Gerichtes geeignet, das Vertrauen des Volkes in die politische Führung zu untergraben, indem sie zum Ausdruck brachte, daß die Anordnungen der Verwaltung im Generalgouvernement verabscheuungswürdig seien.

Interessant ist, daß der Oberstaatsanwalt beim Sondergericht Kiel die Rechtslage zunächst wie folgt beurteilte: Er sehe die Tatbestände des Heimtückegesetzes nicht erfüllt, weil der Brief nicht zugestellt, die Tat also nicht vollendet worden sei; ein Versuch sei aber nicht strafbar. Auch der Umstand, daß bei Öffnung des Briefes durch eine zuständige Stelle Kenntnis vom Inhalt des Briefes erlangt worden sei, könne nicht zum Ergebnis führen, daß der Tatbestand des § 2 Abs. 2 Heimtückegesetz erfüllt sei, denn die betreffenden Personen seien zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet. Die Staatspolizeistelle wurde daraufhin gebeten, das Verfahren einzustellen.

Der Generalstaatsanwalt reicht den gesamten Vorgang unter dem 15.7.1941 zurück unter Bezugnahme auf die telefonische Rücksprache mit dem ermittelnden Staatsanwalt und unter Hinweis auf eine Entscheidung des Volksgerichtshofes. Unter Außerachtlassung der bisherigen Rechtsauffassung legt der Oberstaatsanwalt als Leiter der Anklagebehörde beim Sondergericht Kiel am 23.7.1941 den Entwurf einer Klageschrift dem Reichsminister der Justiz vor mit der Bitte, die Verfolgung der Tat anzuordnen. Die Klageschrift datiert unter dem 29.8.1941. Das Urteil vom 22.9.1941 lautet auf 1 Jahr und 6 Monate. Das Strafmaß sollte ausdrücklich der Abschreckung und der Sühne dienen. Auf die verhängte Strafe wurde nur die erlittene Untersuchungshaft, nicht aber die Schutzhaft angerechnet.

Der Arbeitgeber Hansen bemühte sich mit Schreiben vom 25.9.1941 unter Hinweis auf die Arbeitssituation auf seinem Hof vergeblich um die Freilassung von Helene Krol. Auch der Versuch des Vaters, Josef Krol, vom 11.1.1942 führt zu keinem Erfolg. Am 10.7.1942 endete die Haft für Helene Krol. Nach den Meldeunterlagen ist anzunehmen, daß sie wieder in Böbs tätig wurde; offenbar aber nun bei einem anderen Arbeitgeber.

Das zweite Verfahren vor dem Sondergericht Kiel richtete sich gegen Stanislawa Jeczke, die seit Januar 1942 als landwirtschaftliche Arbeiterin bei dem Landwirt Heinrich Sch. in Schwienkuhlen tätig war (in den Meldeunterlagen ist J. nicht enthalten). Stanislawa Jeczke hat offensichtlich mit dem Landwirt Sch. und dessen Frau ständig Probleme gehabt. Landwirt Sch. macht am 8.3.1943 beim Gendarmerieposten Ahrensbök folgende Anzeige: "Am 7.3.1943, gegen 14.00 Uhr, hat die sich seit etwa zwei Jahren bei mir beschäftigte Polin Anastazia Jeschke die Arbeitsstelle verlassen". Bei der Suche nach ihr stellt Herr Sch. Brandgeruch fest. Er ermittelt, daß in einem Pappkarton Papier und Lumpen angebrannt waren und noch glösten. Am selben Tag nimmt der Gendarm d. Res. Bibow eine Ortsbesichtigung vor. Er stellt fest, daß sich in dem angesprochenen Karton ein etwa faustgroßes Brandloch befand und die Fußleiste in einem Durchmesser von etwa 5 cm geschwärzt war. Die Innenseite des Kartons zeigt nur geringe Rauch- und Brandspuren. Ein Schaden ist nach Auffassung von Bibow nicht entstanden. Ein vorsätzliches Tun hält Bibow aber für wahrscheinlich. "Nach Angabe des Sch. soll die Jeczke wiederholt versucht haben, eine andere Arbeitsstelle zu bekommen und auch aufsässig gewesen sein. Andererseits ist Sch. ein schwer zufrieden zu stellender Arbeitgeber und Querulant", so endet der Ermittlungsbericht, den Bibow erstellt. Am 9.3.1943 wird Stanislawa Jeczke in Neuglasau, einem Nachbardorf, festgenommen und in das Marstallgefängnis nach Lübeck eingeliefert.

Der Oberstaatsanwalt beim Landgericht Lübeck fragt beim Sondergericht Kiel an, ob das Verfahren von dort übernommen werden soll. Unter dem 24.6.1943 kommt es dort zur Anklage. Das Urteil wird am 24.8.1943 gesprochen. Die Angeklagte wird wegen gehässiger Betätigung einer deutschfeindlichen Gesinnung und wegen Arbeitsvertragsbruchs zu 5 Jahren verschärftem Straflager und in die Kosten des Verfahrens verurteilt. Die Verurteilte wird dem Gefangenenlager Oberems bei Gütersloh zugeführt und dort am 14.4.1945 auf Anordnung der Besatzungstruppen entlassen.


[5] Ulrich Herbert: "Der ´Ausländereinsatz´ in der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945", in: Rimco Spanjer ... (Hrsg.), "Zur Arbeit gezwungen. Zwangsarbeit in Deutschland 1940-1945, Bremen 1999, S.13.

[6] Joachim Fest: "Speer. Eine Biografie", Berlin 1999, S.191.

[7] Ulrich Herbert: "Fremdarbeiter. Politik und Praxis des ´Ausländer-Einsatzes´in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches", Bonn 1999 (2. Auflage), S.496.

[8] Speer, S.192.

[9] Dieter Maier: "Das dunkle Kapitel der Arbeitsverwaltung", in: DIALOG 3/1999 (Zeitschrift der Bundesanstalt für Arbeit).

[10] Robert Sansoube: "Anmerkungen zum Nürnberger Prozeß und zum ´Arbeitseinsatz´, in: wie Anmerkung 5, S.152.

[11] Wie Anmerkung 5.

[12] Landesarchiv Schleswig-Holstein (LAS), Abt.454, II, Blätter 301212 ff..

[13] Dieter Maier, wie Anm. 9, in: DIALOG 1/2000.

[14] Ingaburgh Klatt: "Arbeit statt Almosen. Studien zur Geschichte der Arbeitsverwaltung im Deutschen Reich von den Anfängen bis 1933 unter besonderer Berücksichtigung Kiels", Diss., Kiel 1991.

[15] Herbert: wie Anmerkung 7, S.99.

[16] Rolf Schwarz: "Das Stammlager XA", in: "Verschleppt zur Sklavenarbeit. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein", hrsg. von Gerhard Hoch und Rolf Schwarz, Alveslohe und Nützen 1985, S.30.

[17] Herbert: wie Anmerkung 5, S.15.

[18] Christian Streit: "Sowjetische Kriegsgefangene in deutscher Hand", in: wie Anmerkung 16, S.70.

[19] LAS Abt.454, II

[20] Ebd., Blatt 301267

[21] Herbert: wie Anmerkung 7, S.410.

[22] Streit: wie Anmerkung 18, S.75.

[23] LAS Abt.454, II

[24] Ebd., Blatt 325404

[25] Ebd., Blatt 325409

[26] Herbert: wie Anmerkung 7, S.298.

[27] LAS Abt.358 Nr.1152 und 1316.