4. Der Arbeitseinsatz

Den Schwerpunkt des Arbeitseinsatzes der Zwangsarbeiter in Ahrensbök bildete eindeutig die Landwirtschaft. Angesichts der Flächengröße der Gemeinde und seiner starken landwirtschaftlichen Prägung ist dieses Ergebnis eigentlich keine Überraschung. Etwa 2/3 aller Personen waren in diesem Sektor beschäftigt. In landwirtschaftlichen Betrieben, in Gewerbe und Industrie arbeiteten knapp 30% der Arbeitsverpflichteten und im Haushalt etwa 5%.

In der Gemeinde gab es nur drei Betriebe, die eine größere Anzahl von Zwangsarbeitern beschäftigten. Über den gesamten Zeitraum konnte für diese Betriebe die folgende Anzahl von Zwangsarbeitern ermittelt werden:

  • Globus-Gummi- und Asbest-Werke: 9 Männer und 2 Frauen aus Polen, 17 Männer und 62 Frauen aus der UdSSR, 5 Männer aus den Niederlanden und 1 Mann aus Belgien.
  • Genossenschaftsflachsröste GmbH: 1 Frau aus Polen, 29 Männer und 98 Frauen aus der UdSSR und 36 Männer aus Belgien.
  • Gemüse-Absatz-Genossenschaft: 28 Männer und 90 Frauen aus der UdSSR.

In allen drei Fällen erfolgte eine lagermäßige Unterbringung. Das Lager der Zwangsarbeiter der Globus-Werke befand sich auf dem Betriebsgelände nahe der Lübecker Straße (L 184). Das Lager der Zwangsarbeiter der Genossenschaftsflachsröste lag ebenfalls auf dem Firmengelände, etwa drei Kilometer vom Ort Ahrensbök entfernt. Die beiden barackenmäßigen Unterkünfte für die Zwangsarbeiter der Gemüseabsatzgenossenschaft befanden sich vor den landwirtschaftlichen Gebäuden des Hofes Mentz in Hörsten, etwa 50 Meter von der Bundesstraße 432 entfernt. Eine der beiden Baracken ist noch erhalten.

Für die in der Genossenschaftsflachsröste beschäftigten Russinnen ist bemerkenswert, daß 17 Frauen am 7.6.1944 in das Lager Dissau (zur Nachbargemeinde Stockelsdorf gehörend) verlegt worden sind.

Über die Verhältnisse im Lager der Gemüse-Absatz-Genossenschaft Ahrensbök liegen Schilderungen von zwei Zeitzeuginnen vor (Aussagen von Frau Z. und Frau R. vom 27.5.1998). Sie berichten übereinstimmend, daß die beiden Baracken vermutlich 1941 oder 1942 errichtet worden sind. Nach dem Ende des Krieges dienten sie der Unterbringung von Flüchtlingen aus dem deutschen Osten. Eine der Baracken ist in den 50er Jahren abgerissen worden.

In jeder Baracke lebten etwa 50 Personen, vorwiegend Russen. In der näher zur Straße hin gelegenen Baracke waren nur Frauen untergebracht; in der anderen Baracke vorwiegend Männer, aber auch Familien. In beiden Baracken gab es eine Küche. Jeweils zwei Personen waren für die Zubereitung des Essens zuständig. Die warme Mahlzeit gab es immer am Abend. Die Küchenkräfte betreuten gleichzeitig die hier lebenden Kinder. Toiletten und Waschgelegenheiten befanden sich außerhalb der Baracken. In einem dritten, noch weiter von der Straße entfernt gelegenen Gebäude waren französische Kriegsgefangene untergebracht.

Nach Aussagen der beiden Zeitzeuginnen seien die Zwangsarbeiter gut behandelt und versorgt worden. Das Essen sei immer ausreichend und abwechslungsreich gewesen. Von den Essensresten hätte man noch ein Schwein halten können. Eine der beiden Zeitzeuginnen, damals noch ein Kind - schildert, daß sie in dem Lager ein- und ausgegangen sei. Gelegentlich habe sie dort auch gegessen. Es sei auch vorgekommen, daß sie von jungen Russinnen abends betreut worden sei, wenn die Eltern sich auswärts aufgehalten hätten, obwohl das nicht zulässig gewesen sei. Ihre Mutter, die andere Zeitzeugin, habe den Zwangsarbeiterinnen stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden; insbesondere sei das im Falle von Krankheiten vorgekommen. Bei dem Bauern M. sei es üblich gewesen, daß die in seinem Betrieb eingesetzten französischen Kriegsgefangenen mit der Familie zusammen gegessen hätten. Bei ihm habe der Grundsatz gegolten: Wer ordentlich arbeite, müsse auch anständig zu essen bekommen. Die zivilen Zwangsarbeiter seien tagsüber in der Landwirtschaft bei den Bauern im weiteren Umfeld tätig gewesen. Um 22.00 Uhr habe man die Baracken abgeschlossen.

Bauer M., zugleich Geschäftsführer der Gemüse-Absatz-Genossenschaft, habe sich stets für die Zwangsarbeiter eingesetzt. Frau Z. erinnert sich an den Fall einer Arbeitsverweigerung. Nach einer Mißhandlung durch den Bauern P. habe sich die junge Russin geweigert, zu ihm zur Arbeit zurückzukehren. Im Regelfall hätte das für die Frau sehr ernste Folgen nach sich gezogen. Bauer M. habe aber dafür Sorge getragen, daß die Frau einen anderen Arbeitgeber erhielt. Angesichts dieser recht erträglichen Lebensumstände habe es nach der Kapitulation auch keinerlei Aufruhr oder Tätlichkeiten gegeben, wie es anderwärts vorgekommen sei.

Über die beiden anderen Lager liegen leider Aussagen nicht vor. Ganz offensichtlich waren dort die Verhältnisse aber deutlich schlechter. Allein die Tatsache, daß im Lager der Globus-Gummi- und Asbest-Werke vier Totgeburten bzw. der Tod unmittelbar nach einer Geburt zu beklagen sind, spricht für sich (siehe Abschnitt 6). Auch der Selbstmord des Geschäftsführers der Genossenschaftsflachsröste nach dem Ende des Krieges läßt die Vermutung nahe liegen lassen, daß es hier nicht zum besten stand.

Der seinerzeitige Betriebsführer der Globus-Gummi- und Asbest-Werke, Johann J., sah sich nach dem Krieg einem Ermittlungsverfahren wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit ausgesetzt. Das Verfahren gegen ihn wurde maßgeblich vom damaligen Betriebsratsvorsitzenden Fritz H. betrieben, der J. beschuldigte, verschiedene strafbare Handlungen gegen deutsche Angestellte und Fremdarbeiter begangen zu haben. Das Verfahren wegen der Fälle gegen deutsche Angestellte wurde eingestellt, weil keine Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen nachgewiesen werden konnte.

Auch das abgetrennte Verfahren wegen mutmaßlicher Mißhandlungen an dem Polen Kazimierz Olyniezak, dem Ukrainer Alexej Misuna, dem Polen Stanislaw Kudra und der Russin Lydia Kasaluwula wurde eingestellt, weil nach dem Ergebnis der Ermittlungen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht nachgewiesen werden konnten. Auch fehlte es an ausreichenden Anhaltspunkten dafür, daß der Beschuldigte jemand den Willkürmaßnahmen der Gestapo ausgeliefert hat. Ebenso fehlte es an Nachweisen für erlittenes Unrecht. Der Legal Adviser to the Regional Comissioner beim Headquarter Land Schleswig-Holstein stimmte der Verfahrenseinstellung zu.

Seine Funktion als Geschäftsführer, die 1947 geendet hatte, hat Johann J. nicht wieder aufgenommen.[31] Er sah sich einer stark ablehnenden Haltung der Mitarbeiter des Betriebes ausgesetzt. Für den Fall seiner Wiederbeschäftigung war eine allgemeine Arbeitsniederlegung angedroht worden.


[31] LAS Abt. 351 Nr. 439 und 676 sowie Brather: Ahrensbök in der Zeit von 1919-1945, Lübeck 1998, Seite 357.