"Die Frauen konnten sich frei bewegen, liefen abends um den See herum, sangen fröhlich, tranken Spiritus statt Schnaps und verbrannten sich dabei die Kehlen."[1]

 

Ukrainerinnen als Zwangsarbeitende bei der Bordesholmer Firma Spethmann (KiTiFa) 1942-1945

 

[In der mit X gekennzeichneten Baracke könnten die Frauen aus der Ukraine untergebracht worden sein, Foto: Heimatsammlung (Bordesholm)]

 

31 junge Mädchen und Frauen aus der Ukraine wurden 1942 zwangsweise über das Arbeitsamt an die renommierte Kieler Tischfabrik (Kitifa, Inhaber: Kurt Spethmann) am Bordesholmer See als Arbeitskräfte vermittelt. Ihre Heimat war seit dem 22. Juni 1941 von deutschen Truppen überfallen und besetzt worden. Im September 1941 wurde Kiew eingenommen, und bis zum Ende des Jahres 1941 war es der Wehrmacht gelungen, die Krim zu erobern sowie die östlichen Städte Kursk, Belgorod, Charkow, Isjum und Dnepropetrowsk. Die Einnahme von Moskau war allerdings nicht gelungen. Deshalb orientierten sich die Deutschen 1942 weiter nach Südosten bis Stalingrad und erlitten dort um die Jahreswende 1942/43 eine vernichtende Niederlage, wodurch sie endgültig zum Rückzug gezwungen wurden: Es bestand auch keine realistische Chance mehr, diesen (verbrecherischen) Krieg doch noch zu gewinnen.

Von den deutschen Besatzern war bereits am 1. September 1941 das „Reichskommissariat Ukraine“ unter der Leitung von Erich Koch gebildet worden. Seine Hauptaufgabe war es, möglichst viele Arbeitskräfte für die Produktion im „Altreich“ zu rekrutieren. Diese zivilen Personen erhielten die offizielle Bezeichnung „Ostarbeiter“ und mussten gut sichtbar das Abzeichen „Ost“ auf der Oberbekleidung tragen. Sie wurden zumeist in Güterwaggons nach Westen transportiert und kamen u.a. über das „Durchgangslager des Arbeitsamtes“ in Neumünster (Lindenstraße 30) zu ihren eigentlichen Arbeitgebern. In Bordesholm hatte Kurt Spethmann (Sägerei und Tischfabrik) beim Arbeitsamt einen Antrag auf Zuteilung von ausländischen Arbeitskräften gestellt.

Im Sommer 1942 war für alle ukrainischen Jugendlichen zwischen 18 und 20 Jahren eine zweijährige Dienstpflicht im Deutschen Reich angeordnet worden. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass das Durchschnittsalter der 31 nach Bordesholm gekommenen Ukrainerinnen bei 18,7 Jahren lag. Die Älteste war 24 Jahre alt, die Jüngste 15.

 

[Meldekarte für Arbeitskräfte aus dem Ausland, Arolsen Archives 73898431]

[Rückseite der Meldekarte für Arbeitskräfte aus dem Ausland, Arolsen Archives 73898431]

15 von ihnen hatten als Geburtsort Konstantinowka angegeben: Die Stadt Konstantinowka liegt südlich von Kramatorsk und nördlich von Donezk. 1942 hatte sie mehr als 100.000 Einwohner. Laut Wikipedia war die Stadt „677 Tage von der deutschen Wehrmacht besetzt. Die Okkupation begann am 28. Oktober 1941 und endete am 6. September 1943 mit der Rückeroberung durch die Rote Armee.“ 5 der weiblichen Arbeitskräfte kamen aus Kursk, das zwar nicht unmittelbar zur Ukraine gehört; aber es befindet sich in nur 100 km Entfernung von der ukrainischen Grenze auf russischem Boden. Aus Basan, Fedoriwka und Tarasowo kamen jeweils zwei der Frauen. Alle drei Städte liegen auf halber Strecke zwischen Saporischschja und Mariupol. Tarasowo gehört zum Gebiet Pologi. Je eine Frau kam aus Bilezke (nordwestlich von Donezk und südwestlich von Kramatorsk), Nowoseliwka (Kreis Pologi), Julinzi (Juliczi), Kosiriwka und Kotewo (Alt-Belowesch, Kr. Grunowa).

Von den ca. 2,75 Millionen „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeitern“ kamen die meisten aus der Ukraine. Nur durch ihren erzwungenen Arbeitseinsatz war es dem NS-Regime möglich, den Krieg bis 1945 fortzuführen. Ansonsten hätte man wohl schon eher kapitulieren müssen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass demnächst wieder Ukrainerinnen (mit Kindern) nach Bordesholm kommen werden. Wir sollten uns dann unserer historischen Verantwortung stellen und die Amtsverwaltung hinsichtlich der Unterbringung und Betreuung dieser Menschen nach Kräften unterstützen.

Literaturhinweis: Uwe Fentsahm / Nils Lange u.a.: Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft im Amt Bordesholm 1939-1945, hrsg. vom Amt Bordesholm 2016, S.52-61.

Copyright: Uwe Fentsahm (Brügge, November 2024)

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[1] Das Zitat stammt aus den Erinnerungen des Zeitzeugen Ernst Schlotfeld (Bordesholm) aus dem Jahre 2015. In: Uwe Fentsahm/Nils Lange u.a.: Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft im Amt Bordesholm 1939-1945, hrsg. vom Amt Bordesholm 2016, S.58.