Christian-Timm-Schule                                 Realschule Rendsburg

Klasse 8c

 

 

 

Verschleppt und ausgebeutet – NS-Zwangsarbeiter

 

(gekürzte Fassung)

 

Während der NS-Zeit arbeiteten in Schleswig-Holstein mindestens 225.000 „Fremdarbeiter“, Kriegsgefangene und ausländische KZ-Häftlinge.[1] Die Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Rendsburg und im Rendsburger Raum verteilten sich schwerpunktmäßig auf vier Beschäftigungsfelder:

·        Einzelhaushalte und Kleinbetriebe,

·        Öffentlicher Dienst,

·        Industrie,

·        Landwirtschaft.[2]

 

Die zahlenmäßig kleinste Gruppe der Zwangsarbeiter musste in privaten Einzelhaushalten und Kleinbetrieben arbeiten, z.B. im Kohlenhandel, in Gastwirtschaften, Wäschereien, Schlachtereien sowie im Öffentlichen Dienst, z.B. bei den Stadtwerken, bei der Müllabfuhr und beim Eisenbahnbau.[3]

 

Die zweitgrößte Gruppe der Zwangsarbeiter war in der Industrie beschäftigt. Dabei nahm die Carlshütte in der an Rendsburg angrenzenden Gemeinde Büdelsdorf eine herausragende Stellung ein, da sie während des Krieges Rüstungsmaterial produzierte und  90% der in Büdelsdorf in der Industrie beschäftigten Zwangsarbeiter umfasste.[4] Die größte Gruppe der Zwangsarbeiter arbeitete jedoch in der Landwirtschaft.

 

Im damaligen Kreis Rendsburg haben mindestens 126 Lager existiert [5], daneben gab es in vielen Dörfern Zwangsarbeiterunterkünfte.[6]

 

Straßenkarte von 1941 [7]

 

Da die Schülerinnen und Schüler unserer Klasse 8c zu einem Teil aus dem Rendsburger Umland kommen, stießen wir bei unseren Recherchen über Zwangsarbeiter auf Angehörige von Mitschülern und Mitschülerinnen, die diese Zeit selbst miterlebt haben. Einer von ihnen, Herr Kühl, hat uns als Zeitzeuge berichtet. Die Eltern von Herrn Kühl sowie dessen Großvater bewirtschafteten in Pollhorn, Gemeinde Jevenstedt, einen Hof in der Größe von 62,5 Hektar. Seit Ende des Jahres 1939 arbeiteten dort jeweils immer 6 Zwangsarbeiter bzw. Zwangsarbeiterinnen, da andere Landarbeiter zu jener Zeit nicht zu bekommen waren.

 

Seit Beginn des Krieges wurden in den besetzten westlichen Ländern und in Polen zunächst auch Freiwillige angeworben. Als dies jedoch nicht den Erwartungen entsprechend verlief, wurden Arbeitskräfte unter Zwang rekrutiert. Sowjetische Arbeitskräfte, auch „Ostarbeiter“ genannt, gehörten ausnahmslos zu den Zwangsrekrutierten.[8] Die Zwangsarbeiter wurden zur Arbeit herangezogen, damit die Millionen von Deutschen ersetzt werden konnten, die zur Wehrmacht eingezogen worden waren.

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Der nationalsozialistische Staat nutzte Zwangsarbeiter als Mittel sowohl der politischen als auch der wirtschaftlichen Herrschaftssicherung. Bereits vor dem Krieg wurden Personen, die sich dem deutschen Arbeitsleben nicht anpassten, zwangsweise beschäftigt. Dazu gehörten „Arbeitsscheue“, Landstreicher und mehrmals Vorbestrafte. Es folgten sozialunterstützte, später alle deutschen Juden. Seit dem 26.10.1939 wurde Zwangsarbeit für jüdische Polen verhängt.[9]

 

Auf dem Hof war einer der ersten Zwangsarbeiter, an den sich Herr Kühl und seine älteren Schwestern noch erinnern können, ein junger Pole. Er hatte Musik studiert und war Opernsänger. Oft sang er bei der Arbeit. Die Schwester dieses Polen war in Italien mit einem Attaché verheiratet, der in Verbindung zu Mussolini stand. Diese Beziehung wirkte sich günstig für den Polen aus, sodass er bereits ein Jahr später, 1940, nach Italien zu seiner Schwester reisen konnte. Von dort hat er noch mehrfach an die Familie Kühl geschrieben, da es aber verpönt war, zu einem Polen Kontakt zu unterhalten, konnte auf die Briefe nicht geantwortet werden.

 

In diesem Zusammenhang erinnert sich Herr Kühl an einen Fall, in dem eine Polin ein Kind von einem Deutschen erwartete. Sowohl der Deutsche als auch die Polin kamen ins Gefängnis, wo das Kind geboren wurde. Anschließend waren die Polin und das Kind noch für ein Dreivierteljahr auf dem Hof, von dort wurden sie dann abgeholt. Niemand hat je wieder von den beiden gehört. Die in Deutschland beschäftigten Polen unterlagen einem Sonderrecht. Soziale und sexuelle Kontakte zu Deutschen standen unter Strafe.[11] Bei Verstößen drohte Zwangsarbeit im KZ oder das „Arbeitserziehungslager“, bei intimem Kontakt die Todesstrafe.[12]

 

Ab 1942 kamen Zwangsarbeiter aus Russland, darunter eine Russin mit einem älteren Sohn. Ihr Mann, der nicht auf dem Bauernhof der Familie Kühl  arbeitete, war in einem Lager in Neumünster untergebracht, wo er verhungerte. Sie siedelte später nach Polen um. Ein großes Problem für die Arbeitskräfte aus Polen und später aus der Sowjetunion war die Ernährung. Vor allem in den Lagern der Städte wurden viele von ihnen Opfer der Unterernährung.[13]

 

Die oben genannte Russin war für Arbeiten im Haushalt nicht einzusetzen. Sie kam aus sehr einfachen Verhältnissen, kannte vieles nicht und konnte deswegen nur für Feld- und Stallarbeiten eingesetzt werden. Herr Kühl erinnert sich u.a. daran, dass sie z.B. keine Toiletten gekannt hatte. Es kamen weitere Russen auf den Hof, unter ihnen ein Ehepaar. Den Polizisten aus der Gemeinde störte, dass die beiden in einem Raum schliefen, und eines Tages wollte er sie aus dem Schlaf holen. Frau Kühl vertrat jedoch die Auffassung, dass dies in Ordnung sei, da beide verheiratet waren. Daraufhin ließ der Polizist sie in Ruhe. Zwangsarbeiter aus Weißrussland, so erinnert sich Herr Kühl, kamen eher mit der deutschen Sprache zurecht.

 

Auf dem Hof sorgte die Bäuerin für das Essen. Herr Kühl erinnert sich, dass seine Mutter immer etwas auf den Tisch brachte, auch in Zeiten, in denen es wenig gab. Außerdem kochte sie gut, was die Zwangsarbeiter sehr zu schätzen wussten. Mancher von ihnen hatte früher schlechter gelebt und mehr Hunger leiden müssen als zu dieser Zeit. Gegessen wurde lange Zeit gemeinsam in der Küche an einer langen Tafel. Eines Tages im Jahr 1944 verbot der Ortsgruppenleiter, dass die Familie des Bauern gemeinsam mit Zwangsarbeitern an einem Tisch das Essen einnahm, schließlich würden die Zwangsarbeiter als Menschen zweiter Klasse betrachtet. Auf dem Hof wurden daraufhin die Tische auseinandergerückt. Da die Familie ständig mit einer erneuten Kontrolle rechnen musste, aß man zwar weiterhin in demselben Raum, aber an getrennten Tischen.

 

Auf dem Hof sorgte die Bäuerin auch für Kleidung. Abgelegte Sachen der Familie wurden an die Zwangsarbeiter weitergegeben. Der Tagesablauf auf dem Hof sah wie folgt aus: Um 5 Uhr wurde aufgestanden zum Melken, dann gab es ein gemeinsames Frühstück, anschließend folgte die Feldarbeit. Um 18 Uhr gab es Abendbrot, danach war Feierabend. Lediglich zur Zeit der Ernte musste länger gearbeitet werden. Die Zwangsarbeiter auf dem Hof haben dieselben Arbeitszeiten gehabt wie vorher die eigenen Landarbeiter. Herr Kühl betont, dass es Schläge oder Ähnliches nie gegeben hat, demzufolge gingen die Zwangsarbeiter auf dem Hof freiwillig an die Arbeit und verrichteten sie ordentlich.

 

Anderen Zwangsarbeitern oder Zwangsarbeiterinnen erging es in Rendsburg anders:

 

Wir arbeiteten 10–12 Stunden am Tag, manchmal auch mehr. Wir leisteten Schichtarbeit. Besonders schwer war die Nachtschicht, weil wir uns am Tag nicht ausruhen konnten, wir mussten im Lager arbeiten. Urlaub hatten wir keinen. In unserer Freizeit kümmerten wir uns um unsere Kleidung, bereiteten uns zur Arbeit vor.[15]

 

Bei Disziplinlosigkeit oder Arbeitsunlust wurden sie oftmals auch von zivilem Lagerpersonal oder Betriebsführern geschlagen oder misshandelt, obwohl nur Wachmannschaften die Prügelstrafe erlaubt war.[16]

 

Zur Arbeit mussten wir um 5 Uhr in der Begleitung von der Polizei los. Wir wurden von den Wächtern und den Polizisten misshandelt, für jede Kleinigkeit schlugen sie uns mit Peitschen.[17]

           

Am Abend trafen sich die Zwangsarbeiter von den Nachbarshöfen untereinander. Nach den Erlassen von 1940 waren Arbeit und Freizeit streng geregelt. Das Betreten von Gaststätten, Alkoholkonsum und Besuche von Freizeiteinrichtungen waren verboten.[18] Untergebracht waren die Zwangsarbeiter zum Teil auf dem Dachboden, wo man einen Bretterverschlag gebaut hatte, im Altenteilhaus, im Deputathaus und im Bauernhaus in den Zimmern, die üblicherweise für die Landarbeiter vorgesehen waren. Andere Unterkünfte für Zwangsarbeiter sahen wie Baracken aus und hatten häufig vergitterte Fenster. Türen waren nicht selten nur von außen zu öffnen. 7 Kilometer von Pollhorn, Gem. Jevenstedt, entfernt gab es in Luhnstedt auf einem Hof ein Lager für 30 bis 40 Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft.

 

Wir lebten im Gemeinschaftslager in den Baracken. In der Baracke standen Holzbetten, es wurde pro Tag ein Kilogramm Koks für die Heizung verbraucht. Die Matratzen und Kissen waren aus Stroh, Bettlaken gab es keine, die Decken waren sehr dünn. Im Zimmer waren 60–70 Menschen untergebracht.[19]

       

 

 
Herr Kühl erinnert sich, dass es in der Nähe ihres Hofes ein Lager mit etwa 30 Serben, ausschließlich Männern, gab. Die serbischen Zwangsarbeiter wurden nicht allgemein in der Landwirtschaft untergebracht, sondern lebten kaserniert in einem alten, umgebauten Stall.

 

Auszug: Flurkarte Ortsteilplan „Pollhorn“, Maßstab 1:5.000

 
Im Mai und Juni mussten sie Torf stechen, sonst im Wald arbeiten. Gegen 1944 wurde eine große Kolonne Serben an dem Hof der Familie Kühl vorbeigetrieben. Dabei bettelten sie um Salz. Während Frau Kühl ihnen Salz aus einer Holzschublade reichte, gab einer der jungen Soldaten einem Serben einen Fußtritt. Frau Kühl schimpfte und wagte vorzuhalten, dass die Serben auch Menschen seien. Das Alter der Frau und ihr Einfluss als Bäuerin bewahrten sie wohl vor möglichen Folgen durch diese Äußerung. Allgemein wurden die Serben sonst wie Tiere behandelt.

 

Als der Krieg im Mai 1945 zu Ende war, betrachteten sich die Zwangsarbeiter auf vielen Höfen als Gäste. Mitunter  vertrieben sie die Bauern aus ihren Betten, sodass die auf dem Heuboden oder im Kuhstall schlafen mussten. Es war ihre Form der Rache für schlechte Behandlung. Die Wochen, bis entschieden war, wohin die Zwangsarbeiter gingen, waren eine schwierige Zeit. Später kam es zu Diebstählen, auch auf dem Hof der Familie Kühl. Während Flüchtlinge und Familienmitglieder in der Stube Lieder sangen und erzählten, war man mit einem Laster vorgefahren und hatte den Vorratskeller leer geräumt.

 

 

Mit der Befreiung aus der Zwangarbeit aber hatte das Leiden oftmals noch kein Ende.

                                                                                 

 

Wir wurden von den Engländern befreit. Sie schlugen uns vor, nach England zu gehen und beim Aufbau des vom Krieg zerstörten Landes zu helfen. Man sagte uns, dass wir in Russland wegen Verrats nach Sibirien verschleppt werden. Als die Russen kamen, forderten sie alle ins Lager zurück. Viele sind nach Frankreich oder Holland geflohen. Ich wünschte mir nur noch in meine Heimat, wo ich meinen Geliebten hinterlassen hatte, zurückzukehren. Ich glaubte an ein Wiedersehen. Zwei Monate lebten wir im Lager, aßen Bortstsch und Brei. Die jungen Männer wurden in die Armee einberufen, alte Leute durften nach Hause, wir mussten die Getreide- und Kartoffelernte einbringen. Ich arbeitete in Rostock und Stettin, wir lebten in Ställen, arbeiteten von früh bis spät in die

Nacht. Die Deutschen verachteten uns und behandelten uns sehr schlecht, für die Russen waren wir Verräter. Wenn es den Krieg mit Deutschland nicht geben würde, hätte ich die Möglichkeit zum Lernen gehabt, niemand hätte mich „deutsche Hure“ genannt. Deutschland hat mein Leben kaputt gemacht.[20]

 

Im Rahmen der Entschädigung von Zwangsarbeitern hat sich einer der ehemaligen russischen Zwangsarbeiter von dem Hof der Familie Kühl vor wenigen Jahren wieder gemeldet. An ihn kann sich Herr Kühl besonders gut erinnern, denn in den Jahren der Zwangsarbeit war dieser Mann als Junge von 10 Jahren mit seinem älteren Bruder auf dem Hof gewesen und hatte oft mit Herrn Kühl gespielt, der zu der Zeit selbst auch noch ein Kind gewesen war. Inzwischen besteht ein Briefkontakt. Der Russe, der nach dem Krieg nach Polen gegangen ist, hat ein Foto von seiner Familie geschickt und Herrn Kühl zu einem Besuch eingeladen.


[1] Handreichung anlässlich des 27. Januar 2001 - Zwangsarbeitende in Schleswig-Holstein 1939 - 1945. Hg. v. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein.

[2] Ebd.

[3] Ebd.

[4] Ebd.

[5] Pressemitteilung, hrsg. von der Stadt Rendsburg, Haupt- und Kulturamt, September 2001.

[6] Hamer, Schunk, Schwarz: Vergessen und verdrängt, Eckernförde 1984.

[7] Der Deutsche Automobil-Club (Hrsg.), Straßenkarte von Deutschland, Ausgabe 1941.

[8] Siehe Anmerkung 1

[9] Enzyklopädie des Nationalsozialismus, hrsg. von Benz, Graml, Weiß, 2. Auflage, München 1998.

[10] Verschleppt zur Sklavenarbeit. Hg. v. Hoch, Schwarz. 2. Aufl. Alveslohe u. Rendsburg 1988) nur in ungekürzter Fassung

[11] Siehe Anmerkung 9

[12] Siehe Anmerkung 1

[13] Ebd.

[14] (Gemeindefriedhof Osterrönfeld bei Rendsburg, November 2001) nur in ungekürzter Fassung

[15] Siehe Anmerkung 2, nach einer Antwort e. ehem. Zwangsarb. "Industrie" a. d. Ukraine auf die Fragebogenaktion 2000

[16] Siehe Anmerkung 1

[17] Siehe Anmerkung 15

[18] Siehe Anmerkung 1

[19] Siehe Anmerkung 15

[20] Siehe Anmerkung 2, nach einer Antwort einer ehemaligen Zwangsarbeiterin "Haushalt u. Tiefbau" a.d. Ukraine auf die Fragebogenaktion 2000.

Weitere Quellen:

1. Enzyklopädie des Holocaust (hrsg. von Jäckel, Longerich, Schoeps), 2. Auflage, München 1998.

2. Norbert Westenrieder: Bündnis des Unheils - Die Deutschen und Hitler. Fernsehdokumentation, Hessischer Rundfunk 1989.