Kriegsgefangene in Schleswig-Holstein 1939/40

Die Bemühungen der Städte und Gemeinden um kostengünstige Arbeitskräfte

 

Der Überfall der deutschen Truppen auf das benachbarte Polen und dessen umfassende Besetzung im September 1939 stellten die militärische und die politische Führung des Deutschen Reiches vor das Problem einer angemessenen Behandlung und Unterbringung der kriegsgefangenen polnischen Soldaten und Offiziere. Den Völkerbund hatte das Deutsche Reich zwar 1933 verlassen, doch an die Genfer Konventionen fühlte man sich offensichtlich noch gebunden, denn im August 1934 wurde im Reichsgesetzblatt verkündet, dass sowohl das Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde als auch das Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen jetzt ratifiziert worden seien. Beide Dokumente waren bereits im Juli 1929 von deutscher Seite unterzeichnet worden. [1]

Das Letztere der beiden Abkommen bestimmte, dass in Gefangenschaft geratene Soldaten in Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlagern (Stalag) und Offiziere in Offizierslagern (Oflag) untergebracht werden sollten. Im Wehrkreis X (Norddeutschland) wurde deshalb im September 1939 südlich von Bremervörde in Sandbostel das Stammlager XA errichtet: „Einige tausend Polen (gelangten) als erste Kriegsgefangene in das abseits in einer Moorlandschaft zwischen Elbe und Weser gelegene Lager Sandbostel.“ [2] Die Gefangenen wurden zunächst „in Großzelten untergebracht“ [3], da noch nicht genügend Holzbaracken vorhanden waren: „Es musste aber bis 1941 beim Eintreffen größerer Transporte übergangsweise auch auf Zelte ausgewichen werden.“ [4]

Gleichzeitig wurde in Sandbostel offensichtlich auch ein Offizierslager eingerichtet: „Im hinteren östlichen Teil ist ein Bereich gesondert abgetrennt worden, hier sind Offiziere, vornehmlich der polnischen Armee, einquartiert gewesen. Für diese Einrichtung, die im Spätherbst 1941 nach Schleswig-Holstein ausgelagert wurde, lautete die Bezeichnung Oflag XA.“ [5] Bei Gerhard Hoch ist dagegen zu lesen: „Bis Mai 1940 (gab es im Wehrkreis X) ein Oflag XA in Itzehoe.“ „Das Oflag XA wurde, unter Umbenennung in XC, nach Lübeck verlagert.“ [6]

Außer dem Stammlager XA in Sandbostel gab es im Bereich des Wehrkreises X in der Anfangsphase noch das Stammlager XB in der Stadt Schleswig. Im Verlauf des Jahres 1940 erfolgte eine Umbenennung der Stammlager: Sandbostel wurde Stalag XB und erhielt die Funktion eines Sammellagers. [7] Schleswig wurde Stalag XA und war [weiterhin] für das Gebiet nördlich der Elbe, einschließlich Groß-Hamburgs, bis zur dänischen Grenze zuständig. [8] Die Verteilung der Kriegsgefangenen im Wehrkreis X erfolgte jetzt nicht mehr durch Sandbostel, sondern [nur noch] über die Stammlager XA (Schleswig) und XC (Nienburg/Weser): "Die Chefs der Arbeitsämter waren angewiesen, dafür zu sorgen, in den Stalags eintreffende Kriegsgefangene binnen zehn Tagen an Arbeitgeber zu vermitteln." [9]

Für den Einsatz der Kriegsgefangenen im Wehrkreis X war seit dem 1. Juli 1940 der "Kommandeur der Kriegsgefangenen im Wehrkreis X" (mit Sitz in Hamburg) zuständig. Der jeweilige Kommandeur unterstand wiederum dem Chef des Kriegsgefangenenwesens beim Oberkommando der Wehrmacht (OKW) und seit dem Oktober 1944 direkt dem Reichsführer SS und Befehlshaber des Ersatzheeres Heinrich Himmler. [10]

Das Kriegsgefangenen-Stammlager in Schleswig (Heesterberg 66) wurde wiederholt von Vertretern des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) und von der Mission Scapini aufgesucht. Sie sollten sich darüber informieren, ob die Kriegsgefangenen hier in völkerrechtlich einwandfreier Weise untergebracht und behandelt wurden. Im ersten Besuchsbericht vom 22. November 1940 heißt es: Das Stammlager „liegt mitten in der Stadt Schleswig und war ein altes Kinderheim, ein ziemlich großes rotes Backsteingebäude, umgeben von vier Baracken.“ Weiter heißt es in dem Bericht: „Das Lager ist also relativ klein und reicht nur für maximal 1100 Männer aus. … Nur zwei Baracken sind bewohnt, die dritte dient als Werkstatt für Schuster und Schneider, die letzte ist die Küche.“ [11]

Im November 1940 war das Lager in Schleswig mit „ungefähr 1000 Männern“ belegt: „Diese Zahl ändert sich täglich, da ständig Männer in Arbeitskommandos abkommandiert werden.“ Über die Anzahl der Arbeitskommandos waren die Vertreter der Kommissionen nur unzureichend informiert worden: „Eine Zahl von drei- bis viertausend (diese Zahl schwankt ebenfalls von Tag zu Tag) ist über die ganze Provinz Schleswig-Holstein verteilt, von der dänischen Grenze bis zur Elbe, wobei die südliche Grenze eine Linie von Lübeck nach Cuxhaven ist.“ Insgesamt wurden zu diesem Zeitpunkt von Schleswig aus 52.800 kriegsgefangene Soldaten verwaltet, und zwar 30.000 Franzosen, 11.800 Belgier und 11.000 Polen. [12]

 

Die Bemühungen der Städte und Gemeinden um kostengünstige Arbeitskräfte

In den Städten und Gemeinden der Provinz Schleswig-Holstein hatte man natürlich mitbekommen, dass es jetzt die Möglichkeit gab, sich Kriegsgefangene als Arbeitskräfte zu beschaffen. In einem Erlass des Reichsinnenministers vom 12. August 1940 wurde diesbezüglich folgende Regelung getroffen: „Über die Frage der Dringlichkeit des Kriegsgefangeneneinsatzes und die Reihenfolge, in der die Anforderungen von Kriegsgefangenen zu decken sind, entscheiden die örtlich zuständigen Arbeitsämter, gegebenenfalls die Landesarbeitsämter oder das Reichsarbeitsministerium.“ [13]

Bereits im Dezember 1939 war der Kommandant von Sandbostel, Oberst Büttner, zusammen mit dem Lagerarzt, Dr. Nevermann, durch Schleswig-Holstein gereist und hatte in 13 Vorträgen an 9 verschiedenen Orten über die Probleme des Arbeitseinsatzes von Kriegsgefangenen informiert. Zahlreiche Ammts- und Würdenträger wurden dorthin beordert. [14]

In erster Linie war daran gedacht worden, größeren Betrieben zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Es wurde aber auch einzelnen Gemeinden, Gemeindeverbänden und auch den Ortsbauernschaften erlaubt Kriegsgefangene anzufordern, die dann „von der gemeinsamen Unterkunft aus an die einzelnen Betriebe tagsüber einzeln abgegeben werden.“ Die entsprechenden Anträge mussten vom Bürgermeister oder vom Ortsbauernvorsteher in vierfacher Ausfertigung [15] beim zuständigen Arbeitsamt eingereicht werden. Hier erfolgte eine Prüfung der Dringlichkeit und es wurde eine Stellungnahme abgegeben. Im Antragsformular waren folgende Angaben zu machen:

I. Der Betrieb: Name und Sitz, Arbeitsort und Bahnstation.

II. Zahl und Art: Arbeitskräfte, besondere Kenntnisse, genaue Bezeichnung der zu verrichtenden Arbeiten, Dauer der Arbeit.

III. Arbeitsbedingungen: wöchentliche Arbeitszeit. Lohnangaben wurden nicht gefordert. Stattdessen hieß es: „Löhne: 60% der zuständigen Lohnsätze für freie deutsche Arbeiter, soweit das Entgelt für Kriegsgefangene nicht besonders festgelegt ist.“

IV. Unterkunft und Verpflegung: Unterbringung der Wachmannschaften. Unterbringung der Kriegsgefangenen, z.B. vergitterte Fenster, Stacheldraht.

V. Sonstiges: Hier konnte u.a. die Dringlichkeit der Maßnahme beschrieben werden.

Abschließend musste eine Verpflichtungserklärung abgegeben werden, die Kriegsgefangenen „zu den oben festgestellten Bedingungen einzustellen“. [16] Insgesamt standen die Antragsteller zunächst einmal vor dem Problem, geeignete Räumlichkeiten für die Unterbringung eines Kriegsgefangenen-Arbeitskommandos zu finden.

 

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© Uwe Fentsahm (Brügge im März 2025)


[1] Rolf Schwarz: Das Stammlager XA, in: Gerhard Hoch / Rolf Schwarz (Hrsg.), Verschleppt zur Sklavenarbeit – Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein, Alveslohe und Nützen 1985, S.30.

[2] http://www.ostechronik.de/Sandbostel/sandbostel.html

[3] http://gedenkstaette-sandbostel.de/entsteh.htm

[4] http://www.relikte.com/sandbostel/

[5] http://www.relikte.com/sandbostel/

[6] Gerhard Hoch über Lübeck: Offizierslager XC (wie Anmerkung 1, S.60).

[7] Schreiben des Reichsverteidigungskommissars für den Bereich des Wehrkreises X an den Oberbürgermeister der Stadt Neumünster vom 11.01.1940, in: Stadtarchiv Neumünster, Akte 2861.

[8] Schwarz (wie Anmerkung 1), S.31.

[9] Rüdiger Overmans: Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches 1939 bis 1945, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 9 (2. Halbband), München 2005, S.742.

[10] Schwarz (wie Anmerkung 1), S.31.

[11] Ebd., S.41.

[12] Ebd.

[13] Ebd., S.36.

[14] Schreiben vom 2.12.1939, in: Stadtarchiv Neumünster, Akte 2861.

[15] Vgl. dazu auch das Schreiben des Kommandanten des Stalag XB (Sandbostel) an den Oberbürgermeister der Stadt Neumünster vom 3.7.1940: "Anträge auf Zuweisung von Kriegsgefangenen sind über das zuständige Arbeitsamt zur Genehmigung an das stellvertretende Generalkommando in Hamburg zu leiten.", in: Stadtarchiv Neumünster, Akte 2861.

[16] Schwarz (wie Anmerkung 1), S.36.