Claus Heinrich Bill, Alltag und Alltagsleben von 'Fremdarbeitern' in Flensburg 1939-1945 - Die Perspektive der Zwangsarbeitenden (S.112-136).

 

"Im Mittelpunkt der Betrachtung steht daher der Alltag der Flensburger 'Fremdarbeiter' und - wo möglich - soll deren Perspektive auf die Bedingungen des 'Fremdarbeiter-Einsatzes' in Flensburg rekonstruiert werden."(S.112) Gerade weil Bill auf die beschränkte Quellenlage hinweist, ist es natürlich ärgerlich, wenn nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Bill weist auf den Beitrag von Annette Grewe hin, der allerdings keine Aussagen über die Stadt enthält.[25] Grewe hatte aus Krankenhausaufzeichnungen Aussagen zur Lebenssituation abgeleitet. Der Leser erfährt von Bill nicht, ob und gegebenenfalls welche Unterlagen das städtische Krankenhaus besitzt. Die Diakonissenanstalt mit ihrem Krankenhaus, in dem Ausländer behandelt worden sind (siehe weiter oben) und die ein Archiv besitzt, kennt er anscheinend gar nicht.

 

Wenn Bill ausführt, dass Dänen auch aus ihrem Heimatland nach Flensburg als sogenannte Grenzgänger (S.134) zur Arbeit kamen, dann wäre doch eine Orientierung über die Anzahl dieser Grenzgänger und eine Erklärung des Begriffes hilfreich gewesen. Es gibt eine zeitgenössische Definition aus dem Jahre 1941: "Als Grenzgänger im Sinne dieser Statistik gelten solche ausländischen Arbeiter und Angestellten, die im deutschen Grenzgebiet arbeiten und regelmäßig (mindestens einmal wöchentlich) an ihren Wohnsitz im ausländischen Grenzbezirk zurückkehren.  Dieser den Vorschriften des Ausländergenehmigungsverfahrens entsprechende Personenkreis der Grenzgänger ist von dem von der Arbeitsbuchpflicht befreiten Personenkreis der 'Berufstätigen, die ihren Wohnort im Ausland haben', verschieden, da er auch die Wochenpendler umfaßt. Es fallen demnach auch arbeitsbuchpflichtige Ausländer unter diesen Begriff des Grenzgängers."[26]

 

Der Arbeitsamtsbezirk Flensburg war der einzige Bezirk in der Nordmark mit dänischen Grenzgängern. Für den 10.11.1941, also zu Zeiten, als die Dänen noch stärker am Arbeitseinsatz in Schleswig-Holstein beteiligt waren, gibt es offizielle Angaben über die Anzahl der Grenzgänger: 950 Dänen und 40 Däninnen pendelten nach Schleswig-Holstein.[26]

 

Auch diesmal versucht das IZRG die Perspektive der Zwangsarbeiter/innen ohne Zeitzeugenbefragungen und -berichte zu ermitteln. Wie schnell dieser Ansatz an seine Grenzen stößt, weist dieser Artikel aus: Bill greift zur Erhärtung einer These für Flensburg auf einen Bericht aus Lübeck zurück (S.127). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum das IZRG nunmehr zum dritten Mal nicht auf derartige Berichte und private Quellen zurückgreift. Diese Frage erscheint um so notwendiger, da Nils Köhler, der vorher zweimal die Perspektive der Zwangsarbeiter/innen in Schleswig-Holstein beschrieben hat, ohne mit Betroffenen aus dem Land zu korrespondieren, für sein Forschungsprojekt zur Region Lüneburg auch Zeitzeugenbefragungen durchführt. Sowohl für seine Tätigkeit als Autor und als Mitherausgeber mutet dieses komisch an. Hält Köhler die Publikationen des IZRG für so niveaulos, dass er meint, in diesem Fall darauf verzichten zu können? Oder besteht ein Auswertungsverbot seitens der IZRG-Leitung, damit die qualitativen Unterschiede zu den Beiträgen der hauptamtlich Beschäftigten nicht noch größer werden? Ohne die allgemeinen Ausführungen - wozu diente eigentlich der Beitrag von Bohn? - und die Beispiele von außerhalb würde dieser Beitrag von Bill schrumpfen, schrumpfen und ...........

 

 

[25] Annette Grewe, Krankheit als Alltag und Schicksal - Die medizinische Versorgung Zwangsarbeitender in Schleswig-Holstein. In: siehe Anmerkung 22, S.43-92.

 

[26] Arbeitseinsatz Nr.24 (1941), davon Dänen: 14 Landwirtschaft, 888 gewerbliche Berufe, 48 kaufmännische Berufe, Büro, Verwaltungsangestellte, Techniker und freie Berufe; Däninen: 5 gewerbliche, 20 hauswirtschaftliche und 15 kaufmännische Berufe. Von den gewerblichen Berufen der Dänen: 107 Metallwerker und verwandte Berufe, 208 Bauwerker, 206 Bauhilfsarbeiter.