II. Uwe Danker, Robert Bohn, Nils Köhler, Sebastian Lehmann (Hrsg.): "Ausländereinsatz in der Nordmark". Zwangsarbeitende in Schleswig-Holstein 1939 - 1945, Bielefeld 2001
  1. Robert Bohn: Ausländische Zwangsarbeitende in der NS-Kriegswirtschaft - Einführung in die Thematik (S.9-31).
    An der bekannten Literatur orientiert, gibt Bohn eine Einführung in die Problematik, die nur in Ausnahmefällen einen Hinweis auf Schleswig-Holstein enthält.

  2. Auf Uwe Danker: Statuserhebung: Ausländer im 'Arbeitseinsatz' in Schleswig-Holstein 1939 bis 1945 (S.32-102) wird später ausführlich eingegangen.

  3. Nils Köhler, Sebastian Lehmann: Lager, Ausländerunterkünfte und Kriegsgefangenenkommandos in Schleswig-Holstein 1939 bis 1945 (S.103-174).

    Zur von Köhler und Lehmann erstellten Lagerliste zwei Bemerkungen vorweg:
    1. Im Gutachten war der Rezensent mit einer leicht überarbeiteten Fassung der Tabelle aus "Verschleppt zur Sklavenarbeit" aus dem Jahre 1985 vertreten. In diesem Beitrag, der im Wesentlichen aus einer Lagertabelle bestand, waren vom IZRG ohne Wissen des Autors Quellenangaben verfälscht worden. Am 7.Dezember 2000 erhielt der Autor die Aufforderung bis zum 15.Dezember 2000! eine Druckfassung der Liste einzureichen. Da mittlerweile mehrere hundert neue Lager bekannt geworden waren, sah sich der Autor nicht in der Lage, diese so kurzfristig einzuarbeiten. Anstatt einen veralteten Forschungsstand zu veröffentlichen, zog er daraufhin die Tabelle zurück. Unter www.zwangsarbeiter-schleswig-holstein.de befindet sich eine neuere Fassung der Lagertabelle, die nach Notwendigkeit ergänzt wird.

    2. J.Schröder vom Staatsarchiv Münster recherchierte im Jahre 2000 in Brüssel und ließ Mikrofiche der sogenannten F-96-Bögen anfertigen. Die Mikrofiche für Schleswig-Holstein gelangten im Frühjahr 2001 ins Landesarchiv in Schleswig. Schröder fand die deutsche Fassung der Bögen, während für die Auswertung in "Verschleppt zur Sklavenarbeit" 1985 die französische Version benutzt wurde. Beide Fassungen unterscheiden sich manchmal im Detail, der wesentliche Unterschied liegt jedoch in der Überlieferung. Während z.B. die französischen Bögen den Kreis Segeberg abdecken, fehlen sie bei den deutschen. Dafür erfassen diese den Kreis Oldenburg.

    Das IZRG erhebt den Anspruch, dass "die Lagerliste auf transparenter - und neuer - Quellenbasis erstellt" (Vorwort von Danker und Bohn, S.8) worden ist. Die Lagerliste soll jedoch nur die Lager erfassen, "die im Rahmen der umfangreichen Archivrecherchen des Forschungsprojektes ermittelt und belegt werden konnten." Die Informationen aus anderen Studien werden daher nicht berücksichtigt (S.103) - in der Forschung doch wohl eher unüblich, das Eingehen auf vorhandene Studien hätte durchaus zu den "Recherchen des Forschungsprojektes" gehört. Das Ergebnis ist eine Liste, die weit hinter der Tabelle aus dem Jahre 1985 zurückbleibt und den aktuellen Stand um mehrere hundert Lager verfehlt, so dass etwa nur 60% der bekannten Lager erfasst worden sind.

    Inwieweit erfüllen nun die Autoren die selbst gesteckten Ziele?

    Die in LAS Abt.415 Nr.3424/3425 genannten Lager stellen die deutsche Fassung der F-96-Bögen dar und bieten einige neue Informationen. Mit der Quellenangabe BAK Z 42 I, Nr. 255 versehen, tauchen Lagerinformationen aus einer Liste aus dem Jahre 1947 auf. Diese Liste ist ein weiteres Exemplar der Quelle Nr.3 der Tabelle aus "Verschleppt zur Sklavenarbeit" von 1985. Es bleiben somit nur wenige neue Lagerinformationen übrig, die durch das Gutachten erbracht worden sind.

    Verwundert registriert der Rezensent, dass Köhler und Lehmann sich bei Christian Rathmer für Informationen über Lager in Lübeck bedanken. 1. Die betreffende Lagerliste ist bereits in der Publikation von Rathmer über Lübeck veröffentlicht, sollte nach den eigenen Ansprüchen von Köhler und Lehmann also nicht berücksichtigt werden. Wahrscheinlich kennen beide Autoren diese Publikation gar nicht. 2. Christian Rathmer hätte die Autoren mit Sicherheit darauf hingewiesen, dass die Liste bereits erschienen ist.

    Das Versprechen, die Archivrecherchen in die Lagerliste einfließen zu lassen, ist nur zum geringen Teil eingehalten worden. Hierfür nur drei Beispiele: Zwar wird in den Beiträgen ausführlich der Aktenbestand des Schleswig-Holsteinischen Sondergerichts genutzt, die darin genannten Lager tauchen jedoch nur im Ausnahmefall in der Liste auf. Die vom IZRG recherchierten Akten des Kreises Norderdithmarschen enthalten Dutzende von Informationen über Lager, die sich nicht nur auf den Kreis beziehen. Wo bleiben diese Informationen? Die Unterlagen in der Abt.415 Nr.3424/3425 enthalten im Übrigen nicht nur die F-96Bögen und sind nicht komplett ausgewertet worden. So enthält diese Abteilung z.B. für Neumünster Hinweise zu 36 Lagern, in der Lagerliste tauchen jedoch nur 3 Hinweise für Neumünster aus diesem Bestand auf.

  4. Nils Köhler: "Während des Krieges, weit im fremden Land." Die Perspektive der zwangsarbeitenden Polen und 'Ostarbeiter' in Schleswig-Holstein (S.175-218).

    Köhler verweist am Anfang darauf, dass die benutzten Quellen "unzweifelhaft von verschiedenen Einflüssen verfälscht" sind (S.175). Außerdem erklärt er, die Auswahl "orientiert sich an der Quellendichte", so dass viele Aspekte unerwähnt bleiben müssen (S.176). Im Folgenden schildert er zu verschiedenen Lebensbereichen - beispielsweise Ernährung, Kleidung, Urlaub - die Erlasslage. Die Darstellung der Umsetzung dieser Vorgaben in Schleswig-Holstein kommt etwas zu kurz und ist sehr durch die Verwertung der Sondergerichtsakten geprägt. Die Beschreibung der Lebenssituation hätte durch die Nutzung der bereits publizierten Lokalforschung konkretisiert werden können. Als Ausgleich für die oben beschriebene schlechte Quellensituation wären bei all ihrer Problematik Berichte von Zeitzeugen und Dokumente aus Privatbesitz sinnvoll gewesen. Dies setzt jedoch einen längerfristigen Forschungsansatz voraus, der auch zu einer besseren 'Quellendichte' führen würde.

  5. Markus Oddey: Unnütze Esser oder nützliche Helfer? Die Perspektive der staatlichen, provinziellen und kommunalen Behörden und Verbände (S.219-273)

    M. Oddey bietet eine Beschreibung der Zuständigkeiten aber auch der Konkurrenzen zwischen den Behörden auf Reichs,- Provinz - und Kommunalebene, wobei diese unterschiedlich konkret für Schleswig-Holstein ausfällt. Seine Aussage, "dass die Praxis der Behandlung in der Provinz oft stark von der aktuellen Erlasslage abwich"(S.269), dürfte zutreffen. Sie ist ein Hinweis darauf, dass Forschung in diesem Bereich nur konkret auf den Ort und die Zeit bezogen werden kann und somit die generalisierenden Darstellungen auf Grund weniger Beispiele im Gutachten kritisch zu betrachten sind.

  6. Sebastian Lehmann: "Feind bleibt Feind". Die Perspektive der schleswig-holsteinischen 'Volksgemeinschaft' (S.274-309)

    Unter dem Begriff "Volksgemeinschaft" versteht Lehmann nicht die NS-Volksgemeinschaft sondern die Bevölkerung des Landes Schleswig-Holstein Die Beschreibung fußt weitgehend auf drei Quellenbeständen: Den Berichten der verschiedenen NS-Organisationen aus dem Jahre 1941, den Meldungen des Sicherheitsdienstes aus dem Reich und den schleswig-holsteinischen Sondergerichtsakten. Letztere bilden den Schwerpunkt.

    Im Detail vergisst Lehmann manchmal die Realität: "Auf rasseideologischen Motiven basieren die wenigsten Anschuldigungen, denn es lassen sich polnische und russische Kriegsgefangene nur äußerst selten in Fällen von verbotenem Umgang (Geschlechtsverkehr mit Deutschen; R.S.) finden."(S.307) Aus der geringen Anzahl von polnischen und russischen Kriegsgefangenen, die wegen verbotenen Umgangs angeklagt worden sind, schließt Lehmann, dass es kaum rasseideologische Gründe für Anschuldigungen vor dem Sondergericht gab. Berücksichtigen müsste er, dass zum einen die polnischen Kriegsgefangenen bis auf einen kleinen Restbestand alle in Zivilarbeitsverhältnisse entlassen worden sind und zum anderen wurden beide Gruppen auch direkt der Gestapo zur 'Sonderbehandlung' überstellt. Die Aussage, dass Dänen nur eine kleine Gruppe unter den 'Fremdarbeitern' bildeten, müsste und könnte genauer zeitlich eingeordnet werden: Am 30.6.1943 waren es 7185 und am 30.9.1944 nur noch 2703.

    Besonders angesichts der oft einseitigen Quellenbasis, darauf verweist Lehmann selbst, sollte er mit Wertungen zurückhaltender umgehen: "Bei drohendem Autoritätsverlust wurden Polen und 'Ostarbeiter' mitleidslos verfolgt und bestraft. Dies stieß oft auf den ungeteilten Beifall, zumindestens aber nicht auf nennenswerten Widerstand in der Landbevölkerung."(S.309) Beispiele aus Schleswig-Holstein für den oft "ungeteilten Beifall" liefert er keine.

  7. Auf die Beiträge von Jörg Tillmann-Mumm (Die Kieler Rüstungsindustrie und der 'Fremdarbeitereinsatz' 1939 bis 1945, S.310-346), Michael Derner ('Fremdarbeiter' im Kreis Rendsburg, S.347-376), Harro Harder ('Fremdarbeiter' und Kriegsgefangene in Dithmarschen 1939-1945, S.377-393), Christian Rathmer ("Ich erinnere mich nur an Tränen und Trauer" Zwangsarbeit in Lübeck 1939 bis 1945, S.394-417) und Hannes Harding ("Heimatlos in Schleswig-Holstein", Das Schicksal der ehemaligen Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen: Vergessene Opfer des Nationalsozialismus, S.506-512) soll nicht näher eingegangen werden, da die genannten Artikel bereits vor dem Gutachten existierten.

  8. Barbara Günther: "Die Mauer des Schweigens abtragen" Kriegsgefangene und Zwangsarbeitende in Stormarn 1940 bis 1947. Ein Ausstellungsprojekt (S.418-439)

    Günther beschreibt die Erfahrungen in der Vorbereitung und Durchführung des Austellungsprojektes.

  9. Birte Claasen und Michael Derner: 'Fremdarbeiter' vor dem schleswig-holsteinischen Sondergericht - Zum Quellenwert der überlieferten Akten (S.440-474)

    Mit diesem Beitrag liefern die beiden einen weiteren zu vielen bereits erschienenen Artikeln über die Sondergerichtsakten. Zwingend notwendig wäre es in diesem historisch-juristischen Beitrag jedoch gewesen, einen deutlichen Hinweis mit entsprechenden Beispielen aus Schleswig-Holstein zu geben, dass andere Gerichtsinstanzen ebenfalls in die juristische Verfolgung von Zwangsarbeitenden eingebunden waren. Eine Ergänzung der Liste der Gerichtsverfahren durch entsprechende Ortsangaben wäre anregend für die lokale Forschung gewesen. Zweifellos bieten die Akten interessante Hinweise - nicht nur zur Geschichte der Zwangsarbeit.

    Weil der Aktenbestand so gut erschlossen ist, wird aus ihm in fast allen Beiträgen des Gutachtens zitiert. Welche Gefahr der einseitigen Darstellung mit der häufigen Nutzung der Gerichtsakten verbunden ist, mag das prozentuale Verhältnis ausdrücken: Gegen 594 Personen ausländischer Nationalität wurde, vor dem Sondergericht verhandelt. Das sind 0,264% der von Danker geschätzten 225.000 Zwangsarbeiter. Die von den Gerichtsakten geprägten Darstellungen orientieren sich aber an der Ausnahme und nicht an der Regel.

  10. Nils Köhler, "Europa siegt" - Die propagandistische 'Betreuung' von'Fremdarbeitern' (S.474-495)

    Auf einen interessanten Aspekt verweist Nils Köhler, indem er die propagandistische 'Betreuung' von Fremdarbeitern im Allgemeinen darlegt. Diese 'Betreuung' diente der Werbung für NS-Organisationen, der Steigerung der Arbeitsleistung und sollte durch die Betonung der kulturellen und nationalen Unterschiede eine Solidarität unter den Zwangsarbeitern erschweren. Inwieweit diese 'Betreuung' in Schleswig-Holstein umgesetzt und gegebenenfalls von Erfolg gekrönt war, bleibt ziemlich offen.

  11. Neben einem längeren Artikel von Klaus Fischer: Zur Entschädigung von in Schleswig-Holstein eingesetzten Zwangsarbeitern (S.534-571) existieren noch kürzere Beiträge, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Aussagen zum gezogenen Fazit (S.572-588) erfolgen gemeinsam mit dem Fazit des Buches zur 'Zwangsarbeit und Krankheit'.