IVe) "Überdurchschnittliche Partizipation"

Danker stellt für den 30.6.1943 und für den 15.5.1944 eine höhere Beschäftigungsquote der Ausländer in Schleswig-Holstein als im Deutschen Reich fest. Zur Begründung für die "überdurchschnittliche Partizipation" führt er aus: "Die Ursache für diese 'positiven' Abweichungen vom Reichsdurchschnitt liefert die Wirtschaftsstruktur der Provinz, die mit Landwirtschaft und Rüstungsproduktion eine enge Übereinstimmung mit den generellen Prioritäten der NS-Ausländerbeschäftigung ergab." (Zwangsarbeit, S.70)

In diesem Zusammenhang reicht es nicht aus, lediglich einige Daten zur schleswig-holsteinischen Wirtschaft zu nennen (Zwangsarbeit, S.67). Um diese These zu untermauern, wären wesentlich mehr Daten zum Vergleich mit der Reichsebene und anderen Provinzen notwendig gewesen:

1) Die bloße Nennung des für Schleswig-Holstein vielleicht typischen Wirtschaftszweiges "Landwirtschaft, Tierzucht, Gärtnerei" reicht als Erklärung für eine hohe Ausländerbeschäftigung nicht aus, es müssen regionale Fakten berücksichtigt werden. Anders ist die breite Spanne des Beschäftigungsgrades in der Landwirtschaft im damaligen Deutschen Reich nicht erklärbar. Zur Verdeutlichung der Problematik seien in der nachfolgenden Tabelle Zahlenangaben aus dem 'Arbeitseinsatz' Nr.10/11 von 1943 genannt: Warum ist der Anteil der Ausländer an allen Beschäftigten im ebenfalls agrarisch geprägten Mecklenburg noch wesentlich höher als in Schleswig-Holstein, während er anderswo niedriger ist?

Arbeitsamtsbezirk Beschäftigte in
der Landwirtschaft
Ausländer Anteil
Schleswig-Holstein
93.488
46.747
50%
Hamburg
10.651
2.967
27,8%
Danzig-Westpreußen
257.318
50.649
19,6%
Mecklenburg
122.880
77.008
62,6%

Im Jahre 1941 gab es im 'Arbeitseinsatz' jeweils Erläuterungen zu den Ausländererhebungen durch das Arbeitsamt, in denen Gründe für hohe bzw. niedrigere Beschäftigungszahlen genannt wurden. Im Bereich der Landwirtschaft gab es wesentliche Unterschiede zwischen Regionen mit Großgrundbesitz mit vielen zivilen ausländischen Arbeitskräften, dem Hackfrucht- und Rübenanbau bzw. der Veredelungswirtschaft mit einem hohen Frauenanteil und der bäuerlichen Wirtschaft mit verstärktem Einsatz von Kriegsgefangenen. Landwirtschaft ist also nicht gleich Landwirtschaft! Danker versäumt es, die im 'Arbeitseinsatz' zu dieser Problematik bereits gegebenen Hinweise zu verfolgen.

2) Auch ein Blick auf den Wirtschaftszweig "Maschinen-, Kessel-, Apparate- und Fahrzeugbau" ergibt ein ähnliches Bild. Bei 103.434 Beschäftigten in Schleswig-Holstein betrug der Ausländeranteil (mit 21.430 Personen) in der Provinz 20,7%. In Oberschlesien lag er bei nur 10,2%, in der Mark Brandenburg waren es dagegen 37,1% ('Arbeitseinsatz' Nr. 10/11 von 1943). Aufschlussreich für den Bereich Industrie wäre sicherlich eine Auswertung der Betriebsstättenzählung von 1939 gewesen.

3) Der Rezensent hatte in den "Ersten kritischen Anmerkungen" darauf hingewiesen, dass der Faktor Rüstungsproduktion als alleiniges Erklärungsmuster für einen überproportionalen Einsatz von Zwangsarbeitern in der schleswig-holsteinischen Industrie nicht ausreicht. Als Beleg führte er die Auflistung "Gefolgschaftsbewegungen ausgewählter Kieler Betriebe Januar - Mai 1943" im Beitrag von Jörg Tillmann-Mumm an (Gutachten, S.296). Diese Aufstellung ergab bei einem Durchschnittswert von ca.17% unterschiedlich hohe Anteile der Ausländerbeschäftigung bei der Kriegsmarinewerft (21%), der Deutschen Werke Werft (15%) und bei der Firma Anschütz & Co mit 9% für den Monat Mai 1943. Die Aufstellung, die insgesamt acht Rüstungsbetriebe erfasste, erschien in der Buchfassung nicht mehr.

4) Ohne weitere Daten gerät Danker mit seinen eigenen Aussagen in Widerspruch: Der im Provinzvergleich geringere Anteil von 'Ostarbeitern' in Kiel (36%) wird mit der Wirtschaftsstruktur (Rüstungsbetriebe) begründet (Zwangsarbeit, S.51). Der noch geringere Anteil von nur 30% 'Ostarbeitern' im Kreis Schleswig wird dagegen nach Ansicht des Autors von der starken "landwirtschaftlichen Wirtschaftsstruktur des Kreises verursacht" (Zwangsarbeit, S.75). In Schleswig-Holstein lag am 30.9.1944 der Anteil der 'Ostarbeiter' mit 42,3% erheblich über dem Reichsdurchschnitt von 36,4% (Zwangsarbeit, S.69). Welche Wirtschaftsstruktur führt nun zum signifikant größeren Anteil der 'Ostarbeiter' in Schleswig-Holstein? fragt sich der Rezensent, wenn doch die schleswig-holsteinische Wirtschaft durch relativ hohe Anteile an der Landwirtschaft und Rüstungsproduktion geprägt sein soll (Zwangsarbeit, S.67).[1]

Als Reaktion auf die ersten kritischen Anmerkungen zur These von der "Überdurchschnittlichen Partizipation" Schleswig-Holsteins in Bezug auf die Beschäftigung von Ausländern schreibt Danker: "Daß eventuell andere Gaue noch stärker vom Durchschnitt nach oben abwichen als Schleswig-Holstein ist damit keineswegs ausgeschlossen" (Zwangsarbeit, S.70). So darf ein Professor für Geschichte auf die Kritik der fehlenden Einordnung Schleswig-Holsteins in die Verhältnisse im Reich nicht reagieren.. Schleswig-Holstein hatte keine Spitzenposition. Am 15.11.1943 wiesen von 41 Gauarbeitsamtsbezirken elf einen größeren Ausländeranteil auf.


[1] Zusätzlich sei angemerkt, dass die Aussage über die Wirtschaftsstruktur des Kreises Schleswig fehlerhaft sein dürfte. Unter den 17 Landkreisen der Provinz belegte Schleswig 1939 in Bezug auf die "Berufszugehörigkeit einschließlich der Angehörigen ohne Hauptberuf in der Land- und Forstwirtschaft" nur den 11. Platz (Statistik des Deutschen Reiches, Band 559,7).