IVl) Statistik oder Zahlenspielerei?

Die von Danker durchgeführte Erhebung wird von Zahlen und Statistiken dominiert. Auf den ersten Blick wirkt dieses sehr wissenschaftlich. Unabhängig von inhaltlichen Fragen soll hier an einigen Beispielen aufgezeigt werden, wie willkürlich Danker mit Zahlenwerten umgeht:

1. Da Schleswig-Holstein anfänglich zum Landesarbeitsamtsbezirk 'Nordmark' gehörte, tauchen bei der Auswertung des 'Arbeitseinsatzes' für diesen Zeitraum Probleme auf, da Schleswig-Holstein nicht extra aufgeführt wurde. Die Wirtschaftsstruktur Mecklenburgs sei zwar "mit jener Schleswig-Holsteins ähnlich und vergleichbar, aber Hamburg bildet eine unzulässig verzerrende Ausnahme." Deshalb würde "im folgenden auf jede Interpolation verzichtet und lediglich auf ausdrücklich allein für Schleswig-Holstein vorliegendes Datenmaterial zurückgegriffen."(Zwangsarbeit, S.35) Dass dann trotzdem entsprechende Daten des Landesarbeitsamtsbezirkes 'Nordmark' benutzt werden (Zwangsarbeit, S.51ff.), soll hier nur kurz erwähnt werden.[1]

Ohne Überprüfung behauptet Danker, dass die Wirtschaftsstruktur Mecklenburgs der Schleswig-Holsteins "ähnlich und vergleichbar" wäre. Die deutlichen Unterschiede bei den "Erwerbspersonen einschließlich der Angehörigen ohne Hauptberuf in Land- und Forstwirtschaft" von 20,9% in Schleswig-Holstein zu 31,9% in Mecklenburg sind ebensowenig wie die Abweichung bei den Beschäftigten in Industrie und Handwerk von 32,0% zu 27,7% "ähnlich und vergleichbar". (Statistik des Deutschen Reiches, Band 559,7)

2. Die massiven Aushebungen zur Zwangsarbeit im "Reichskommissariat Ostland", das unter der Leitung des schleswig-holsteinischen Oberpräsidenten stand, "kamen offensichtlich nicht im signifikanten Ausmaß der Heimatregion des Reichskommissars 'zugute'."(Zwangsarbeit, S.42) So eindeutig gestaltet sich die Situation nicht:

Für Estland ergibt sich praktisch eine Deckung zwischen Provinz- und Reichsdurchschnitt. Während am 30.9.1944 der Anteil für Litauen (0,2%) unter dem Reichsdurchschnitt von 0,5% lag, war es bei Lettland umgekehrt: 1,2% zu 0,2%. Ein Jahr vorher hatte es noch anders ausgesehen: Der Anteil der Letten in Schleswig-Holstein (1,9% am 30.9.1943) nahm im Laufe des Jahres ab. Dagegen war der Anteil der Litauer steigend (um 0,1%). Das sind signifikante Abweichungen, obwohl die Bedeutung der Balten am Gesamtaufkommen der Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein relativ gering war.

3. Manchmal fehlt jegliche Grundlage für die Prozentrechnung: Danker führt an, dass im Arbeitsamtsbezirk Heide die 'Ostarbeiter' 37,5% aller 'Fremdarbeiter' stellten. Im Krankenhaus in Heide seien unter den behandelten Ausländern aber nur 27% 'Ostarbeiter' gewesen. Daraus ergibt sich für ihn eine "signifikante Abweichung" und der Beweis für die Schlechterbehandlung dieser Gruppe.(Zwangsarbeit, S.101 und Krankheit, S.11) Diese Schlussfolgerung besitzt keinerlei Aussagewert. Schließlich gab es im Arbeitsamtsbezirk Heide weitere Krankenhäuser, die von 'Ostarbeitern' aufgesucht wurden. Weiter wäre zu fragen, ob die Behandlung von Kriegsgefangenen in den Unterlagen des Krankenhauses gesondert ausgewiesen worden ist, wodurch sich die Zahlenangaben grundsätzlich verschieben könnten.

4. Manchmal werden einfach die Unterschiede zwischen den Nationalitäten aufgehoben: Bei der Schätzung der Sterberate geht Danker den publizierten Hinweisen nach und kommt zu dem Ergebnis, dass es in Schleswig-Holstein in der Zeit von 1939 bis 1945 ca. 9.000 ausländische Tote gegeben habe. Überwiegend seien dies sowjetische Kriegsgefangene gewesen. "Das ist eine Quote von ca. 4,5% und liegt damit an der unteren Grenze des von Spoerer[2] hergeleiteten Anteils."(Zwangsarbeit, S.59) Auf der vorherigen Seite schreibt Danker: "Spoerer geht für Polen (Hervorhebungen R.S.) offenkundig - bezogen auf den Gesamtzeitraum - von 4-8,5% aus."

5. Im Zusammenhang mit den Beschäftigungsverhältnissen in der Landwirtschaft führt Danker aus: "Indes haben wir hier nicht eventuelle Unterschiede zwischen der bäuerlichen Landwirtschaft auf der Geest und in der Marsch im Gegensatz zu Fallbeispielen aus Regionen mit Gutswirtschaft betrachtet. Auch fanden die ebenfalls, also zusätzlich auf den Höfen tätigen Kriegsgefangenen, die nicht bei der AOK versichert wurden, keine Berücksichtigung: Beides würde den statistischen Anteil der Zwangsarbeit in der Landwirtschaft weiter erhöhen!"(Zwangsarbeit, S.92ff.) Diesen Passus hat Danker nachträglich in die Gutachtenfassung eingefügt, ohne darüber nachzudenken. Die Behauptung, dass Unterschiede den Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten erhöhen würden, ist ohne genauere Untersuchungen unsinnig. Es könnte auch sein, dass sich der Anteil der zivilen Ausländer dort wo Kriegsgefangene eingesetzt wurden reduziert hat.


[1] Dankers Aussage: "Ab November 1943 existiert das 'Gauarbeitsamt Schleswig-Holstein'. Von diesem Zeitpunkt an sind auch die verfeinerten und präzisen Angaben über nationale Herkunft und Zuordnung zu den Branchen für die Region verfügbar."(Zwangsarbeit, S.35) ist falsch. Im November 1943 trat die Neustrukturierung der lokalen Arbeitsämter in Schleswig-Holstein in Kraft. Der 'Arbeitseinsatz' (6/1943) benennt bereits für den 15.5.1943 eigene Daten für den 'Landesarbeitsamtsbezirk Schleswig-Holstein', der ab November 1943 als 'Gauarbeitsamt' bezeichnet wurde.

[2] Mark Spoerer hat für das Gebiet Österreichs eine Untersuchung durchgeführt, wie viele ehemalige Zwangsarbeiter im Jahre 2000 noch leben würden (www.historikerkommission.gv.at).