IVm) Zum Umgang mit Quellen

Dankers Beitrag fällt nicht nur wegen der gehäuften Anzahl inhaltlicher und fachwissenschaftlicher Fehler aus dem Rahmen. Die anderen Autoren geben unterschiedlich offen die teilweise geringe Quellendichte und Problematik der Quellen zu. Danker dagegen behauptet, seine Erkenntnisse beruhen "ausnahmslos - auf exakten, eindeutigen sowie zuverlässigen Zahlen"(Zwangsarbeit, S.39).

1. Er verweist auf "Auflistungen, die in ziemlich dichter Überlieferung im ITS vorhanden sind"(Zwangsarbeit, S.58) und nennt als Beleg dafür die eigene Einführung in das Buch 'Zwangsarbeit und Krankheit'. In dieser Einführung (S.9-25) beschreibt er allgemein die Quellengrundlage zur Publikation. Im Buch werden später dann nur sechs beim ITS in Bad Arolsen ausgewertete Listen genannt (Krankheit, S.62).

2. Danker spricht von einem Austauschfaktor von 0,5 für westliche Arbeitskräfte ins Ausland, "den wir unten für den Kreis Schleswig exakt nachweisen."(Zwangsarbeit, S.59, Anmerkung 54) Auf S.81f. wird erklärt, dass mit dem Ausscheiden aus der AOK-Datei auch der Umzug in einen anderen Kreis verbunden sein kann. Für Polen und Ostarbeiter kommt Danker dann zu dem Schluss: "Ihre sich in den Karteien der AOK-Schleswig statistisch niederschlagende 'Fluktuation' basierte allein (Hervorhebung R.S.) auf Mortalität, Rücksendung im Krankheitsfall, Flucht und auf Effekten der Binnenwanderung innerhalb der Provinz."(Zwangsarbeit, S.84)

Die beiden Aussagen für westliche Arbeitskräfte, Polen und Ostarbeiter lassen sich aus der AOK-Datei nicht ableiten, da in ihr lediglich der Abgang vermerkt wird. Hier hätte eine Überprüfung anhand der Einwohnermeldedaten, in denen der Zielort des Umzuges erfasst wird, erfolgen müssen. Danker widerspricht sich hier selber, schließlich weist er auf die einmalige und massive Verlagerung ausländischer Arbeitskräfte in die Ruhrregion (Zwangsarbeit, S.61) hin. Warum sollte nun ausgerechnet wieder der Kreis Schleswig davon nicht betroffen sein?

3. Bei der Quellenlage zum Buch "Krankheit"(S.12f.) schreibt Danker über die Versichertenkartei der AOK-Schleswig, dass sie "bezogen auf die Ausländer vollständig" sei, um im Vermerk 13 auszuführen: "Soweit es die von der AOK für das Gutachten erstellte Sonderkartei betrifft. Zu einem geringen Prozentsatz sind in der Hauptkartei weitere Ausländer zu vermuten." Kurz darauf (Krankheit, S.19) weist er auf den Unterschied zwischen den Angaben in der AOK-Liste vom ITS (4.614 Ausländer) und der AOK-Liste aus Schleswig (4.173 Ausländer) hin.

4. Zur Frage der unterschiedlichen Krankenversicherungsmöglichkeiten behauptet Danker, für den Landkreis Schleswig sei "der Befund eindeutig: Hier versicherte allein die AOK ausländische Beschäftigte." (Krankheit, S.10) In der Vorstellung der Quellengrundlage im Buch "Zwangsarbeit"(S.36f.) "stimmen die Zahlen mit jenen der Arbeitsverwaltung überein und ist für den genau analysierten Kreis Schleswig auch im Bereich der Landwirtschaft eine vollständige Abdeckung durch die AOK zu konstatieren." Die notwendigen Gegenprüfungen hätten stattgefunden und es "ist - abgesehen von zu vernachlässigenden Größen - keine Verfälschung der Befunde zu erwarten".[1]

Später teilt er in Anmerkung 70 (S.73) mit, dass der bis November 1943 existierende Arbeitsamtsbezirk Schleswig nicht identisch mit dem AOK-Bezirk Schleswig wäre. "Einfache Interpolationen zeigen jedoch, daß die Größenordnungen auch gemessen an der dynamischen Entwicklung zutreffen, zumal die Kurven der dynamischen Entwicklung absolut deckungsgleich sind." Den Verlauf der Ausländerbeschäftigung in Schleswig-Holstein hat Danker jedoch nicht richtig erfasst (siehe oben). Weicht jetzt der Kreis Schleswig von der Provinzentwicklung ab oder stimmen Dankers Daten über den Kreis Schleswig nicht?[2] "Eindeutige Beweise" entpuppen sich als "interpoliert". Quellenunsicherheiten werden auf zwei Bücher bzw. mehrere Seiten aufgeteilt.

5. Problematisch ist auch der Umgang mit dem 'Arbeitseinsatz' durch Danker. Er hätte auf die einschränkenden Anmerkungen, die im 'Arbeitseinsatz' (ab 1943 regelmäßig) auftauchen, hinweisen müssen. Beispielsweise in Nr. 5/41: "Die festgestellten Zahlen dürften demnach etwas unter den tatsächlichen liegen." Danker lässt dagegen keine Zweifel gelten, die Statistiken der Arbeitsverwaltung seien "absolut präzise" (Zwangsarbeit, S.35), selbst wenn im 'Arbeitseinsatz' zusätzlich von "Personen nicht geklärten Verbleibs" (reichsweit einige zehntausend) geschrieben wird.


[1] Wie unwahrscheinlich die Annahme ist, lediglich die AOK hätte landwirtschaftliche Arbeitskräfte im Kreis Schleswig versichert, lässt ein Blick in die Versichertenzahlen ahnen: Während im Jahresdurchschnitt 1939 bei den 12 Landkrankenkassen in Schleswig-Holstein insgesamt 62.029 Mitglieder versichert waren (Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941/42, S.510), arbeiteten im gleichen Jahr laut Danker (Zwangsarbeit, S.67) 69.000 Arbeitskräfte in der Landwirtschaft. Es verbleibt somit für die 25 Ortskrankenkassen in Schleswig-Holstein nur ein kleiner Anteil der Versicherten aus der Landwirtschaft.

[2] Der Arbeitsamtsbezirk Schleswig hatte laut Volkszählung von 1939 eine Wohnbevölkerung von 116.312 Personen ('Arbeitseinsatz' 13/1941). Im Kreis Schleswig gab es dagegen nur eine Wohnbevölkerung von 77.595 Personen. Zusätzlich waren einige Ortschaften des Kreises Schleswig zeitweise dem Arbeitsamt Rendsburg zugeteilt. Das sind Differenzen, die nicht durch "einfache Interpolationen" zu beseitigen sind.