„Das so lange ersehnte Ende des Krieges [wieder in Tönning]“

Seit der zweiten Hälfte Dezember 1944 arbeitete ich in einem Tierfellverarbeitungsbetrieb im Neuweg in Tönning. Ich musste Kaninchenfelle von Transportern abladen und sortieren – eine schwere Arbeit, von morgens um 7 Uhr bis abends 18 Uhr, oder so lange, wie Felle abzuladen waren. Eine Stunde war Mittagszeit. Ich wohnte bei einer Familie und hatte dort ein Zimmer und konnte die Küche benutzen. Die Leute kümmerten sich um mich. Ich bekam einen halben Liter Milch pro Tag. Der Mann arbeitete im Gaswerk und war gegen Hitler. Abends durfte man im Winter bis 20 Uhr, im Sommer bis 21 Uhr raus gehen. Wurde man außerhalb dieser Zeiten von der Polizei erwischt, gab es Bestrafungen. Das „P“, das alle polnischen Zwangsarbeiter gut sichtbar auf ihrer Kleidung zu tragen hatten, steckte ich in die Tasche. Nur wenn ich Polizei sah, heftete ich es schnell an die richtige Stelle.

[In der Tierfellfabrik in Tönning, von links: K. Frankowska, A. Olienkieviecz und
Werner Kohrts, der Enkel des Meisters von Frau Frankowska.]

Endlich kam der so lange erwartete Tag, das Ende des Kriegs. Die Engländer rückten in Deutschland ein und ließen uns frei. Nach ein paar Tagen wurden wir Zwangsarbeiter zu einer Kaserne gebracht. Dort waren wir von Mai bis Oktober 1945. Wir bauten oder reparierten den Unterschlupf. Es entstand auch eine provisorische Kirche, in der ich dann Ryszard kirchlich heiratete. Es gab insgesamt fünfzehn Ehepaare, die von einem Pfarrer den Segen bekamen. Im Oktober brachten die Engländer uns mit dem Auto nach Szczecin, von dort sollten wir allein nach Hause fahren. Mein Mann und ich waren sehr glücklich, dass alles endlich, endlich zu Ende war. Wir fuhren nach Woclawek und die Familie meines Mannes nahm mich sehr freundlich auf. In Polen herrschte bitterste Armut. Noch lange mussten wir um das tägliche Essen kämpfen. Aber wir waren stolz, dass unser Land den Krieg überstanden hatte.

Nach sechs Jahren ständiger Suche fand ich meine Mutter und Schwestern wieder - das Rote Kreuz half dabei. Mein Mann besuchte die Polizeischule und ich kümmerte mich um die inzwischen eigenen Kinder, zwei Söhne und eine Tochter. Wir fanden in Leslau, 100 km westlich von Warschau, eine Wohnung und kehrten langsam zu einem normalen Leben zurück. Nachdem die Kinder groß waren, wurde ich Mitarbeiterin und später dann Leiterin eines Supermarktes. 1982 starb Ryszard.

Ich wollte alles vergessen, aber die Erinnerungen kommen wieder, immer wieder – immer wieder. Bis heute, auch noch nach über 60 Jahren. Ich kann zwar immer noch gut Deutsch sprechen und auch verstehen. Aber ich habe mir damals geschworen, nie mehr in meinem Leben Deutsch zu sprechen.