Lebensbedingungen

 Die beiden vorhergehenden Beschreibungen zeigen auf, dass es unmöglich ist, eine allgemeine Aussage zu den Lebensbedingungen der Kriegsgefangenen in Schleswig-Holstein zu treffen.

Im folgenden wird an einzelnen Punkten die Rechtslage der Kriegsgefangenen geschildert. Soweit es möglich ist, werden hierzu Beispiele aus dem Gebiet des Stammlagers XA genannt. Das Gebiet von Groß-Hamburg wurde hierbei fast ganz ausgeschlossen.

 

Bezahlung

„Wie gewöhnlich bekommen die Gefangenen 18.20 RM im Monat, wenn sie auf dem Lande arbeiten. In der Industrie kann die Löhnung nicht 60% dessen überschreiten, was ein deutscher Arbeiter bekommt. (...)Die Arbeiter im Lager bekommen 10 RM. Diejenigen, die ohne Beschäftigung sind, erhalten nichts.“  Zeigt schon dieser Bericht (22. 11. 1940) auf, dass lokale Forschungen nötig sind - was heißt 60%? - so wird dies durch Aussagen aus anderen Berichten verstärkt.

26. 6. 1941: „Jede Arbeit wird entlohnt; 50 Pfennige pro Tag für die Arbeiter im Lager und 70 Pfennige für jede andere Arbeit. Geldüberweisung an die Familien ist einmal im Monat möglich.“

18. 11. 1941: „Die Gefangenen verdienen im Durchschnitt 30-80 Reichsmark im Monat und können dieses Geld nach Hause schicken.“

An dieser Stelle soll versucht werden, einige Erklärungen zu diesen unterschiedlichen Aussagen zu geben. Das Genfer Abkommen (Art. 34) legt keine Höhe der Bezahlung für geleistete Gefangenenarbeit fest. Arbeiten, die zur Verwaltung, Bewirtschaftung und Unterhaltung der Lager nötig wären, brauchen nicht bezahlt zu werden. Für andere Arbeiten gibt es einen Anspruch auf Lohn, der zwischen den kriegsführenden Mächten vereinbart werden sollte. Diese Vereinbarung sollte zusätzlich beinhalten, wie der Lohn verwaltet, ausgezahlt und verbraucht werden durfte. Weitere Regelungen enthielten die Artikel 23 und 24. Im Falle einer fehlenden Vereinbarung heißt es:

a)      „Arbeiten für den Staat werden nach den Sätzen bezahlt, die für Militärpersonen des eigenen Heeres bei Ausführung der gleichen Arbeiten gelten, oder, falls solche Sätze nicht bestehen, nach einem Satz, wie er den geleisteten Arbeiten entspricht.

b)      Werden die Arbeiten für Rechnung anderer öffentlicher Verwaltungen oder für Privatpersonen ausgeführt, so werden die Bedingungen im Einverständnis mit der Militärbehörde festgesetzt.“

Im Erlass vom 12. 8. 1940 über den Einsatz von Kriegsgefangenen in Arbeitstellen wurden Entlohnungsrichtlinien bekannt gegeben, die unterschiedlich für z.B. öffentliche Bauvorhaben und Torfarbeiten ausfielen. Außerdem galt eine Unterscheidung für Arbeiten im Zeitlohn und Stücklohn.

Aus dem Arbeitskommando 991 Neumünster ist die Beschreibung (20. 11. 1941) einer Lohnabrechnung für Akkordarbeit bekannt. Die Kriegsgefangenen erhielten 70 Pfennige pro Tag plus Prämien für erhöhte Stückzahlen: für 10% mehr 5 Pf, für 15% mehr 10 Pf, für 20% mehr 15 Pf. Der Monatslohn durfte aber 18 RM nicht übersteigen. Hier ergibt sich auf den ersten Blick ein Widerspruch zu dem Erlass, der bestimmte: „Bei im Stücklohn (Prämien, Akkordlohn) beschäftigten Kriegsgefangenen soll das Entgelt grundsätzlich 80 v.H. des tariflichen, ortsüblichen oder besonders festgelegten Akkordsatzes für derartige Stücklohnarbeiten betragen.“[51]

Bereits im Abschnitt über die Einrichtung eines Arbeitskommandos war beschrieben worden, dass zwischen den Kriegsgefangenen und den Arbeitgebern kein Rechtsverhältnis bestand und dass mit dem Stammlager abgerechnet wurde. Dieses zahlte die Gefangenen dann aus. Vom Lohn wurden die verschiedenen Kosten abgezogen. Im Erlass vom 7. 4. 1942 steht: „die Kosten für Unterkunft und Verpflegung hat der Kriegsgefangene durch Abzug von der zu zahlenden Arbeitsvergütung zu zahlen.“ In den Erlassen wurden diese Sätze je nach Arbeitseinsatz (z.B. Nachtarbeiter- oder Schwerarbeiterzulage beim Essen) festgelegt. Für die Unterkunft betrug der Betrag ganzjährig 20 Pf pro Tag.[52]

Weitere Abzüge waren möglich für Bekleidung und Lagermittel. Die Kosten für die Errichtung des Lagers trugen die Gefangenen durch Abzüge für die Lagermittel, so dass sich die Löhne dem angegebenen Wert von 50 und 70 Pf pro Tag anpassten (21.6. 1941).

Weitere Kosten ergaben sich für die Gefangenen durch die Kleiderwäsche. Im Arbeitskommando Kaltenkirchen betrugen die Preise für die Reinigung eines Hemdes 25 Pf, einer Hose 25 Pf, eines Handtuches 5 Pf, eines Paares Strümpfe 5 Pf, eines Taschentuches 5 Pf.[53]

Die Abrechnung der Unterkunftsgelder scheint in einigen Fällen recht variabel gestaltet worden zu sein, wie aus der Abbildung der Büdelsdorfer Rechnung hervorgeht. Bei den Unterbringungskosten konnten die Unternehmer 20 Pf ohne größeren Aufwand einbehalten. In Borgwedel waren z.B. 2000 Sowjets in vier „remises ouvertes“ (offene Wagenschuppen) und in Lasbeck in einer cloitanage (Bretterverschlag ohne Mauerwerk) untergebracht.[54]

Einigen Firmen reichten die niedrigen Löhne und fehlenden Abgaben zur Sozialversicherung offensichtlich noch nicht aus, um genügend Gewinn durch die Kriegsgefangenen zu erzielen. In einer Anlage zum „Merkblatt für die allgemeinen Bedingungen, die für den Arbeitseinsatz von kriegsgefangenen Arbeitskräften Geltung haben“, wird unter Punkt 1 aufgeführt:

 „Beim Ausleihen von Kriegsgefangenen haben sich Mißstände herausgestellt. Kriegsgefangene sind teilweise wochenlang bei anderen Unternehmern tätig gewesen. Dabei haben die verleihenden Unternehmer von dem entleihenden Betrieb nicht nur Ersatz ihrer Selbstkosten gefordert, sondern über eine angemessene Entschädigung für die ihnen entstandenen Kosten hinaus eine Vergütung verlangt, die ihnen einen namhaften Zwischengewinn ermöglicht hat.“[55]

 

Bezahlung: Sanitäter

„Die Kriegsführenden haben dem in den Artikeln 9, 10 und 11 bezeichneten Personal, solange es sich in ihren Händen befindet, denselben Unterhalt, dieselbe Unterbringung, dieselben Bezüge und dieselbe Löhnung zuzusichern, wie dem entsprechenden Personal ihres Heeres“ (Art. 13 z.V.). Die Bedingungen für den Lohn erschienen gegenüber den Franzosen erfüllt worden zu sein. Im Bericht vom 18. 11. 1941 heißt es: „Die Ärzte und die Mitglieder des Sanitätspersonals erhalten die gleiche Bezahlung wie das deutsche Sanitätspersonal.“

 

Bezahlung: Glaser und Dachdecker

Besonders die Glaser und Dachdecker unter den Kriegsgefangenen wurden zur Beseitigung von Kriegsschäden infolge von Flugzeugangriffen eingesetzt. Sie wurden in sogenannten Kriegsgefangenen-Facharbeiter-Bataillonen zusammengefaßt und erhielten aufgrund der teilweise langen Arbeitseinsätze 80 Pf pro Arbeitstag ausgezahlt. An den Tagen, an denen nicht gearbeitet wurde, galten die gleichen Regeln wie für alle Kriegsgefangenen: kein Lohn.[56] In Schleswig-Holstein waren in Kiel ein Glaser- und Dachdecker-Bataillon stationiert, Glaser zeitweise auch in Lübeck[57].

Die Abrechnung für ihren Arbeitseinsatz erfolgte durch die Feststellungsbehörden erster Rechtsstufe für die Bombenschäden. Hier besteht evtl. die Möglichkeit, Akten zu finden. Feststellungsbehörden erster Rechtsstufe waren im allgemeinen die Landräte oder die Oberbürgermeister in kreisfreien Städten.[58]

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[51] Runderlass des RMdI vom 12.8.1940

[52] ebenda

[53] Bürgermeister von Kaltenkirchen am 25.4.1941. Gemeindeverwaltung

[54] Enquêtes sur les prisons et les camps douteux. Familienministerium

[55] in: Ministerialblatt des Reichs- und Preuß. Min. des Inneren vom 8.7.1942

[56] Runderlass des RMdI vom 23.9.1941. Entlohnung von Kriegsgefangenen der Glaser- und Dachdeckerbataillone und sonstigen Kriegsgefangenen, die zur Beseitigung von Kriegsschäden infolge von Fliegerangriffen eingesetzt sind. Ministerialblatt des Reichs- und Preuß. Min. des Inneren vom 1.10.1941

[57] Zehn Jahre Wehrkreis X

[58] Runderlass des RMdI vom 23.9.1941

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