Kriegsgefangene in Schleswig-Holstein

Eine Chronik 1939

[01.09.39] Überfall der deutschen Truppen auf das benachbarte Polen und dessen umfassende Besetzung. In der polnischen Geschichtsschreibung geht man inzwischen davon aus, dass mehr als 420.000 polnische Militärangehörige in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten, darunter ungefähr 15.000 Offiziere.

[14.10.39] Erste Diskussionen über den Einsatz von Kriegsgefangenen in Neumünster (NMS). Man möchte 26 Kriegsgefangene haben.[1]

[23.10.39] Besprechung im Sitzungssaal des Arbeitsamtes Heide. Es wurde stolz mitgeteilt, „dass der Arbeitsamtsbezirk Heide als erster in Schleswig-Holstein Kriegsgefangene für die Bergung der Kohlernte erhalten habe. Dem X. Armeekorps standen nur 3.000 Kriegsgefangene zur Verfügung, wovon nur 1.800 für die Landwirtschaft geeignet waren. Von diesen 1.800 hat das Arbeitsamt Heide 1.250 erhalten; angefordert waren 1.436.“ „Somit stehen heute dem Kreis Norderdithmarschen 770 und dem Kreis Süderdithmarschen 480 Gefangene zur Verfügung.“ „Es ist strenge Vorschrift, dass die Gefangenen jeden Abend in das Lager zurückkommen. Die Wachmannschaften sind nicht befugt, Gefangene bei den Bauern übernachten zu lassen.“[2]

[05.11.39] Die Bauern der Gemeinde Mühbrook (südlich von Bordesholm) erhielten nach Angaben des Bürgermeisters (aus dem Jahre 1949) „14 Stck.“ kriegsgefangene Polen als landwirtschaftliche Hilfskräfte. Sie wurden in einer Scheune des Bauern Harder untergebracht und bewacht.[3]

[13.11.39] Der Oberbürgermeister (OB) von NMS vermeldet: „Leutnant Rittelmeyer vom Landesschützenbataillon XIV/X ist mit der Betreuung von Kriegsgefangenenlagern beauftragt. Er gehört keiner Formation an und muss daher mit Lebensmittelkarten beliefert werden.“[1]

[18.11.39] Rundschreiben des Regierungspräsidenten in Schleswig über die „Zuteilung von Arbeitskommandos aus Kriegsgefangenenlagern“: „Der Antragsteller richtet seine Anforderung an sein zuständiges Arbeitsamt. Dieses Arbeitsamt gibt die Anforderung an das für den Wehrkreis X federführende Arbeitsamt Unterweser in Wesermünde weiter. Arbeitsamt Wesermünde schlägt nach Verbindungsaufnahme mit dem Kommandanten des Stalag Sandbostel unter Abwägung der Interessen aller Antragsteller und unter Bevorzugung der Landwirtschaft dem Wehrkreiskommando die Zuteilung der Kr.Gef.-Arbeitskräfte an die verschiedenen Arbeitsstellen vor. Das Wehrkreiskommando entscheidet im Benehmen mit dem Reichsverteidigungskommissar über den Einsatz.“

Hinweis auf geplante Zonenregelung für den Einsatz von Kriegsgefangenen: „Für das Gebiet nördlich der Eider im Bezirk Schleswig-Holstein, das gesamte westlich der Ems liegende Gebiet und die Festungszonen der Kriegsmarine (Emden, Wilhelmshaven, Wesermünde, Nordenham, Cuxhaven, Brunsbüttelkoog, Kiel und nordfriesische Inseln) wird eine besondere Regelung getroffen.“[1]

[18.11.39] Rundschreiben des Regierungspräsidenten in Schleswig u.a. an OB NMS: „Es dürfte ausreichen, wenn beispielsweise zuverlässige Bauern, denen Kriegsgefangene zur Arbeit zugeteilt werden, Hilfspolizeieigenschaften erhalten. Der Chef des OKW hat gemäß §35 des Wehrgesetzes die Hilfspolizeibeamten in Bezug auf den Waffengebrauch den für Soldaten geltenden Vorschriften unterstellt.“[1]

[18.11.39] „Das OKW hat sich damit einverstanden erklärt, dass die Mindeststärke der Kriegsgefangenen-Arbeitskommandos auf 20 Mann herabgesetzt wird.“ Es waren ursprünglich 50 Mann für jedes Arbeitskommando vorgesehen.[1]

[18.11.39] „Bewachung ist Sache der Wehrmacht.“ Es werden in diesem Zusammenhang die 4. Kompanie des Landesschützen-Bataillons 682 (in Bordesholm) und die 5. Kompanie des Landesschützen-Bataillons 661 (in Preetz im Hotel „Stadt Hamburg“) genannt.[1]

[25.11.39] Im Reichsgesetzblatt wird eine Ergänzung der Verordnung „zum Schutz der Wehrkraft des deutschen Volkes“ veröffentlicht. Der §4 widmet sich dem „Verbotenen Umgang mit Kriegsgefangenen“: „Wer mit einem Kriegsgefangenen in einer Weise Umgang pflegt, die das gesunde Volksempfinden gröblich verletzt, wird mit Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft.“ (RGBl 1939, I S.2319)

[30.11.39] Eintreffen der ersten 20 polnischen Kriegsgefangenen in NMS, mit einem Wachmann in einem Güterzug auf dem Bahnhof um 19.48 Uhr. Sie werden in Brachenfeld, Mühlenstraße 3, in einem Scheunenanbau eines Hauses untergebracht, das dem ehemaligen Bürgermeister Hansen gehörte und sich jetzt im Besitz der Stadt Neumünster befindet. Das Gelände ist mit einer Stacheldrahteinfriedigung versehen und befindet sich direkt gegenüber der Gastwirtschaft „Waldwiese“.[1]

[02.12.39] Die in Brachenfeld untergebrachten 20 Kriegsgefangenen brauchen Stiefel oder Arbeitsschuhe für die Arbeit in der Landwirtschaft. Bauern wollen die Kosten übernehmen. Die Stacheldrahteinfriedigung im Gefangenenlager ist außerordentlich mangelhaft. Geplante Unterkunftsentschädigung 0,40 RM pro Kopf und Tag. Kein Einsatz von Kriegsgefangenen im Nordwesten von Neumünster, weil dort der Flugplatz in der Nähe ist.[1]

[02.12.39] Der Kommandant und der Lagerarzt des Stalag Xa (Sandbostel) planen eine Vortragsreise durch Schleswig-Holstein. Es sollen an 9 Orten 13 Vorträge zum Thema „Probleme des Arbeitseinsatzes von Kriegsgefangenen“ gehalten werden.[1]

[05.12.39] Es ergibt sich insgesamt eine „Belebung der örtlichen Wirtschaft“ in NMS durch die Notwendigkeit der Anschaffung von Ausrüstungsgegenständen für das Lager in Brachenfeld. Es musste z.B. ein größerer Posten Wolldecken angeschafft werden.[1]

[12.12.39] Kriegsgefangene sind ohne zusätzliche Beitragsleistung bei der Schleswig-Holsteinischen Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gegen Betriebsunfälle versichert. An Leistungen werden Heilbehandlung und Verletztenrente gewährt.[1]

[14.12.39] Gestapo (Kiel) vermeldet: „Im hiesigen Bezirk wurden in der letzten Zeit durch die zuständigen Stellen an folgenden Orten Arbeitskommandos polnischer Kriegsgefangener eingesetzt:“ Es folgt eine Auflistung von 81 Orten, auf die 2575 Kriegsgefangene aus Polen verteilt wurden. Große Sorgen machte man sich um die Bewachung der Kriegsgefangenen: "Ich mache darauf aufmerksam, dass diese Einsatzkommandos auch nach staatspolizeilichen Gesichtspunkten überwacht werden müssen. Insbesondere bitte ich, dabei zu beachten, dass die Bevölkerung nach Möglichkeit keinen Kontakt mit diesen Kriegsgefangenen bekommt. Sie sind nach wie vor Feinde. Ich weise ausdrücklich im Zusammenhang hiermit auf die vom Oberkommando der Wehrmacht herausgegebene Broschüre "Kriegsgefangene" hin, deren Studium ich im Intresse der Überwachung der Kriegsgefangenen dringend empfehle."[4]

[29.12.39] Rundschreiben des Reichsverteidigungskommissars für den Wehrkreis X: Geplant war eine generelle Neuordnung des Kriegsgefangenenwesens. Alle im Arbeitseinsatz befindlichen Kriegsgefangenen sollten nach Sandbostel ins Stammlager zurückbeordert und von dort aus neu verteilt werden. Außerdem sollten „aus gewichtigen militärischen Gründen“ mindestens 50 Mann in einem Lager untergebracht werden: „Es bestehen jedoch keine Bedenken, die Gefangenen wie bisher auch einzeln bei den Bauern zu beschäftigen. Sie müssen nur nach der Arbeit und für die Nacht in Sammelunterkünften zusammengefasst werden. Die Wehrmacht wird im Übrigen dafür sorgen, dass auch der einzeln beim Bauern tätige Kriegsgefangene während der Arbeitszeit unter militärischer Bewachung steht.“[1]

[29.12.39] Verunsicherung in Neumünster: Was wird aus dem 20-Mann-Lager in Brachenfeld? Wird es aufgelöst, oder erhält man die Möglichkeit, durch Umbau daraus ein 50-Mann-Lager zu machen?[1]

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[1] Stadtarchiv Neumünster, Akte 2861.

[2] LASH Abt.320 NDI Nr.2525-2526.

[3] Uwe Fentsahm/Nils Lange: Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft im Amt Bordesholm 1939 - 1945, hrsg. vom Amt Bordesholm, Kiel 2016, S.140.

[4] LASH Abt.320 NDI Nr.2525-2526. Die erwähnte Broschüre "Kriegsgefangene" befindet im Stadtarchiv Neumünster, Akten 2861 und 1813a.