Die Gemeinschaftslagerverwaltung (GLV) der Stadt Kiel verschaffte sich am Ende des Krieges einen Überblick über die im Stadtgebiet vorhandenen Barackenlager, die einerseits von den Alliierten als DP-Lager (Displaced Persons, ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter) oder von der Stadt als Unterkünfte für Flüchtlinge genutzt wurden. Alle Lager waren in der Kriegszeit errichtet worden und dienten damals zur Unterbringung der vielen Tausend zwangsweise nach Kiel transportierten ausländischen Arbeitskräfte. Im Stadtarchiv gibt es dazu eine umfangreiche Liste, die 18 innerstädtische und 4 außerhalb Kiels liegende Lager erfasst (Akte 45864).
Im März 1949 war die Stadt Kiel vom Internationalen Suchdienst (ITS) angeschrieben und u.a. um "Informationen über Ausländerläger" gebeten worden. Dabei entstand eine Liste mit der Beschreibung von 26 Lagern. [Arolsen Archives (AA), Ordner 9069800, Dokumente 82411488 und 82411489]
Sehr gute Hintergrundinformationen zu einzelnen Lagern lieferten Uwe Carstens: Die Flüchtlingslager der Stadt Kiel, Marburg 1992 und Jan Klußmann: Zwangsarbeit in der Kriegsmarinestadt Kiel 1939-1945, Bielefeld 2004.
- Lager An der Schanze (Grüffkamp, Kiel-Friedrichsort) [12 Wohnbaracken, 1 Wirtschaftsbaracke, 2 Waschbaracken, 1 Toilettenbaracke, 1 Kohlenschuppen].
Das Lager An der Schanze gehörte auch der Werft DWK. Es lag unmittelbar neben dem Lager Brauner Berg (Grüffkamp 111) und wurde auch als Lager Falckenstein bezeichnet. Nach dem Ende des Krieges war hier das DP-Lager Nr.39. [Carstens, 1992, S.97]
"Das Lager An der Schanze, Kiel-Pries (Grüffkamp), beherbergte Ukrainer, Russen und Armenier." [AA 9069800-82411489]
Das Ostarbeiterlager An der Schanze befand sich nach Angaben von Klußmann (2004), S.275 im Palisadenweg (heute: Hundesportverein Friedrichsort).
- Lager Brauner Berg (Grüffkamp 111, Kiel-Friedrichsort) [5 Wohnbaracken, 1 Wirtschaftsbaracke, 2 Waschbaracken, 2 Toilettenbaracken].
"Das auf dem Gelände Grüffkamp 111 in der Gemarkung Pries (Flur 3, Flurstück 50) gelegene Lager Brauner Berg war 1943 von der OT als Arbeiterwohnlager für die Deutsche Werke Kiel AG errichtet worden." Nach dem Ende des Krieges war hier das DP-Lager Nr.40. [Carstens, 1992, S.97]
"Im Lager Brauner Berg, Kiel-Pries (Palisadenweg), waren Franzosen, Ukrainer, Italiener, Schweizer und Polen untergebracht." [AA 9069800-82411489]
- Lager Grüffkamp 16 (Kiel-Friedrichsort) [3 Wohnbaracken, 1 Wirtschaftsbaracke, 1 Toilettenbaracke, 2 Kohlenschuppen].
"Das zwischen der Klaus-Groth-Straße, dem Brammerkamp und dem Grüffkamp in Friedrichsort gelegene Flüchtlingslager Grüffkamp 16 war 1939 als Arbeiter-Barackenlager von der Marine errichtet worden." Von 1945 bis 1948 wurde das Lager als DP-Lager Nr.56 geführt und diente u.a. zur Unterbringung von Italienern. [Carstens, 1992, S.160 f.]
Das Lager Grüffkamp 16 "war von Holländern, Belgiern, Dänen und Franzosen bewohnt." [AA 9069800-82411489]
- Lager Zur Hochbrücke (Prinz-Heinrich-Straße 65, Kiel-Wik) [Urspünglich 25 Gebäude, am Ende des Krieges waren nur noch 6 Wohnbaracken vorhanden].
"Das im Stadtteil Kiel-Wik, Prinz-Heinrich-Straße 65 (in Höhe der Wirtschaftsakademie an der Auffahrt zur Hochbrücke) gelegene Lager Hochbrücke war 1939 vom Marine-Bauamt als Arbeitsgemeinschaftslager für Fremdarbeiter errichtet worden. ... Für die seit 1939 im Lager untergebrachten Fremdarbeiter wurde 1942 auf dem Lagergelände eine Bordellbaracke eingerichtet, gegen die es von seiten der Bevölkerung lebhaften Protest gab." Nach dem Ende des Krieges wurde hier das DP-Lager Nr.23 eingerichtet. [Carstens, 1992, S.171 f.]
"Zur Hochbrücke, Kiel-Wik, 500 Personen verschiedener Nationen, Kriegsmarine." [AA 9069800-82411492]
- Schusterkrug (Kiel-Friedrichsort) [5 Wohnbaracken, 1 Wirtschaftsbaracke mit Saal, 1 Waschbaracke, 1 Toilettenbaracke] mit DP belegt.
"Im Lager Schusterkrug (Kiel-Holtenau) waren Ukrainer, Belgier, Holländer, Dänen, Franzosen und Staatenlose untergebracht." [AA 9069800-82411489]
- Schurskamp (Kiel-Friedrichsort) [13 Wohnbaracken, 1 Wirtschaftsbaracke mit Küche und Saal, 1 Verwaltungsbaracke, 1 Sanitätsbaracke] mit DP belegt.
"Im Lager Schurskamp, Kiel-Pries (Fritz-Reuter-Straße), waren Dänen, Belgier, Italiener, Franzosen, Tschechen und Holländer untergebracht." [AA 9069800-82411489]
- Russee (Russee bei Kiel) [11 Wohnbaracken, 1 Wirtschaftsbaracke mit Küche und Saal, 1 Verwaltungsbaracke, 1 Waschbaracke, 1 Lazarettbaracke, 1 Schule, 1 Kirche] mit DP belegt.
"Das Arbeitserziehungslager "Nordmark" (Rendsburger Landstraße) hatte bei der Kapitulation eine Belegungsstärke von 3000-3500 Mann. An ausländischen Häftlingen sollen dort Polen, Russen, Ukrainer, Holländer, Franzosen und Belgier gewesen sein. Es wurden dort auch Kieler Einwohner untergebracht. Die Leitungs des Lagers lag in den Händen der Gestapo."
"In dem Lager Drachensee I (Rendsburger Landstraße, Sandkuhle hinter der ehemaligen Firma von Max Vernimb) waren 400-450 ausländische Zivilarbeiter, wie Russen, Ukrainer, Esten und Kurländer untergebracht. Die Zivilarbeiter wurden von der Firma Bohn & Kähler beschäftigt." [AA 9069800-82411489]
"Drachensee (Rendsburger Landstraße, Bohn & Kähler), 1100 Personen (männlich und weiblich, verschiedene Nationalitäten), verschiedene Kieler Firmen." [AA 9069800-82411492]
"Lager Drachensee II (wie Lager I gelegen) war ein Frauenlager. Es sind dort Ukrainerinnen und Lettinnen, insgesamt 150 Frauen, untergebracht gewesen, die bei den Firmen Bartels & Langness und Leichtbau beschäftigt waren." [AA 9069800-82411489]
"Von 1943 bis August 1944 war im Lager Drachensee eine Polizeibaracke abgeteilt, die mit ca. 80 Häftlingen (Ukrainer, Russen und Polen) belegt war. Diese Baracke war der Vorläufer des oben aufgeführten Arbeitserziehungslagers "Nordmark"." [AA 9069800-82411489]
- Elmschenhagen Süd II (Kiel-Elmschenhagen) [7 Wohnbaracken, 1 Wirtschaftsbaracke mit Saal, 1 Verwaltungs- und Lagerbaracke, 1 Waschbaracke mit Baderaum, 1 Toilettenbaracke] mit Flüchtlingen belegt.
- Kollhorst (Kiel-Hasseldieksdamm) [7 Wohnbaracken, 1 Wirtschaftsbaracke, 1 Abort- und Waschbaracke, 1 Revierbaracke, 1 Holzschuppen] mit Flüchtlingen belegt.
- Drachensee (Rendsburger Landstraße) [9 Unterkunftsbaracken, 2 Wirtschaftsbaracken, 1 Verwaltungsbaracke, 1 Revierbaracke, 1 Abortbaracke] mit Flüchtlingen belegt.
- Seine-Lager (Kiel-Hasseldieksdamm) [10 Unterkunftsbaracken, 2 Wirtschaftsbaracken, 2 Waschbaracken] mit Flüchtlingen belegt.
- Scheer-Lager (Kiel, Admiral-Scheer-Straße) [8 Wohnbaracken, 1 Abort- und Waschbaracke, 1 Waschküche] mit Flüchtlingen belegt.
- Hof Hammer (Kiel-Hammer) [4 Wohnbaracken, 1 Abortbaracke, 1 Waschbaracke] für Flüchtlinge vorgesehen.
- Lager Eckernförder Chaussee (Kiel) [12 Wohnbaracken, 1 Küchenbaracke, 2 Abortbaracken, 2 Waschbaracken] zur Zeit nicht belegt.
- Lager der Da. Stahl (Hagenuk I, Projensdorfer Straße) [2 Wohnbaracken, 1 Wirtschaftsbaracke mit Küche und Waschraum, Kohlenraum und Abort] zur Zeit Bauhandwerker-Lager.
- Lager Beton- und Monierbau (Hagenuk II) [7 Wohnbaracken, 1 Küchenbaracke, 2 Abortbaracken] zur Zeit Bauhandwerker-Lager.
- Ostarbeiterlager Kählen (Kiel-Elmschenhagen) [12 Wohnbaracken, 1 Wirtschaftsbaracke, 1 Verwaltungsbaracke, 1 Sanitätsbaracke, 2 Abortbaracken, 2 Waschbaracken, 1 Kohlenschuppen].
Das Ostarbeiterlager Kählen befand sich in der Gemarkung Wellsee "am Rundweg südlich der Preetzer Chaussee" [Klussmann (2004), S.283]
"Im Lager Kählen (Preetzer Chaussee) waren nur russische Zivilarbeiter untergebracht. Die Belegungsstärke lag zwischen 600-700 Mann. Alle Russen waren auf den Deutschen Werken beschäftigt. Lagerführer war Hermann Ehlers, der z.Zt. in Eckernförde als Sportlehrer tätig sein soll." [AA 9069800-82411489]
Der ehemalige Lagerführer wurde im Oktober 1950 angeschrieben und erklärte im April 1951: "... teile Ihnen mit, dass sämtliche im ehemaligen "Ostarbeiterlager Kählen" verstorbenen russischen Staatsangehörigen auf Friedhöfen bestattet wurden." ... "Obwohl ich bei allen im Lager oder im Krankenhaus verstorbenen russischen Staatsangehörigen Beerdigungen veranlasste, und ihnen das letzte Geleit gab, können meine Angaben nach so langer Zeit nur Vermutungen sein." [AA 2.1.2.1 SH 014 3 RUS, Dokument 70723692]
- Das Gemeinschaftslager Wehdenweg (Kiel-Wellingdorf) [Lager I mit 4 Mannschaftsbaracken und 1 Küchenbaracke, Lager II mit 3 Mannschaftsbaracken und 1 Küchenbaracke mit Speisesaal, Lager III mit 7 Mannschaftsbaracken und 1 Küchenbaracke mit Speisesaal. (Carstens, 1992, S.370 f.)]
"Das in der Gemarkung Wellingdorf südlich der Bahnlinie Kiel-Schönberg am Wehdenweg gelegene Lager war 1941 als Gemeinschaftslager für die Organisation Todt (OT) errichtet worden." "Während der schweren Luftangriffe auf Kiel wurde der mittlere Teil des Lagers regelrecht 'ausradiert'." Am Ende des Krieges errichteten die Alliierten hier das DP-Lager Nr.11. [Carstens, 1992, S.373 f.]
"Das Lager Wehdenweg (Kiel-Wellingdorf) war ein Zivilarbeiterlager für die Tiefbaufirma Frank in Hamburg. Die Belegungsstärke betrug ca. 600 Mann, bestehend aus Russen, Ukrainern, Polen, Italienern, Tschechen und Franzosen." [AA 9069800-82411489]
Nach Klußmann (S.278) gab es hier 4 Lagerbereiche, wobei Lager II zur Unterbringung von Dänen genutzt wurde. Lager IV soll 1942 für Ostarbeiter errichtet worden sein. Die OT nutzte das Lager zur Unterbringung der Arbeitskräfte, die beim Bau des Bunkers Konrad (auf dem Werftgelände von DWK) durch die ARGE-Kiel II (Wayss & Freitag, Habermann & Guckes) eingesetzt wurden.
An dieser Stelle wird in der Liste vermerkt: "Es sind nur die im Stadtkreis Kiel gelegenen Baracken genannt. Darüber hinaus werden von dieser Dienststelle noch verwaltet außerhalb des Kreises Kiel liegende Läger und zwar:
- Lager Korügen (Heikendorf, Kreis Plön), mit DP belegt.
- Lager Wellsee (Wellsee, Kreis Plön), mit DP belegt.
- Lager Rumohr (Rumohr, Kreis Rendsburg), mit Flüchtlingen belegt.
- Lager Blumenthal (Blumenthaler Berg, Kreis Rendsburg), mit Flüchtlingen belegt.
Abschließend heißt es: "Außerdem befinden sich im Kieler Raum noch weitere Barackenlager bzw. einzeln stehende Baracken, die teils noch in Verwaltung von Marinedienststellen und der städtischen Hausverwaltung sind. Auch Firmen und Einzelpersonen verfügen über Baracken, die als Arbeiterunterkünfte und für Werkstättenbetriebe Verwendung finden." (Stadtarchiv Kiel, Akte 45864)
© Uwe Fentsahm (Brügge, März 2025)