„Im Hotel [in Tönning] waren die Deutschen nicht freundlich.“

Im Hotel waren die Deutschen nicht freundlich. Dort arbeiteten polnische und ukrainische Zwangsarbeiter. Jeder hatte seinen Aufpasser, der haargenau kontrollierte, ob alles so wie befohlen gemacht wurde. Menschen waren wir für die nicht, vielleicht so etwas wie irgendwelche Kreaturen. Es war wirklich nicht leicht. Weil wir zusammenhielten, überstanden wir das. Der Kontakt unter den ZwangsarbeiterInnen war überhaupt nicht gern gesehen und wurde ständig genauestens kontrolliert. Man befürchtete, dass wir eine Verschwörung machen könnten. Gut war nur, dass sie uns nicht verstanden, wenn wir untereinander sprachen. Aber manchmal verboten sie uns auch das.

Ich putzte, räumte die Zimmer auf und servierte das Essen für die Hotelgäste. Das Essen selbst bereiteten andere zu. Wir arbeiteten von sehr früh morgens bis spätabends. Ich wohnte in einem klitzekleinen Zimmer mit zwei anderen Mädchen, Barbara und Maria, zusammen. Die Männer der beiden waren im Konzentrationslager. Im Raum, wo ich schlief, waren drei Matratzen mit Stroh in einer Kiste, die aus Brettern zusammengebaut war. Das war alles. Das wichtigste allerdings war, dass man lebt, überlebt. Aber die Frage war, wie.

Die Deutschen meinten, dass wir nicht wert sind, Essen und einen Wohnplatz wie sie zu bekommen. Und das ließen sie uns hier in Tönning auch jeden Tag spüren. Wir bekamen anderes Essen als die Deutschen. Leider konnte man fast nie Essbares heimlich mitnehmen. Jeder aber, der konnte oder die Möglichkeit hatte, schmuggelte Essen. Wer erwischt wurde, den erwarteten drakonische Strafen. Manche wurden schon wegen einer Lappalie erschossen. Allein das Gerücht, dass man für den Diebstahl von Lebensmitteln, egal was und wie viel, von den Deutschen sofort aufgehängt oder erschossen wird, sorgte dafür, dass man es nicht tat. Und zuzutrauen war den Deutschen ja buchstäblich alles, das hatten wir schnell kapiert.

Mit Sehnsucht warteten wir auf den Tag, an dem wir zu unseren Familien kommen und endlich ganz normal leben könnten, ohne Angst und Gedanken, was später kommt. Oft wurden wir schikaniert, die weiblichen Zwangsarbeiter wurden zwar nicht körperlich misshandelt, die männlichen dagegen umso mehr, das ging von Treten, Ohrfeigen, Boxen bis zum blutigen Zusammenschlagen.

Während der Arbeitszeit wurden wir von Flugzeugen bombardiert und mussten uns verstecken – Polen war es aber unter Strafandrohung verboten, bei Luftangriffen Luftschutzbunker aufzusuchen. Sie waren ausschließlich den Deutschen vorbehalten. Also suchten wir dann irgendwo einen schützenden Unterstand. Wir hörten dieses Dröhnen und sahen zerstörte Gebäude, wo die Leute wohnten. Nach solchen Bombardements lagen manchmal tote Menschen auf den Strassen, blutende Menschen, die schreiend um Hilfe riefen. Leider konnten wir nicht helfen. Verletzte wurden oft umgebracht. Uns Zwangsarbeiter überprüfte man sehr genau, besonders die, die nach den Angriffen aufräumen mussten, ob wir auch wirklich unsere Aufgaben machten.

In Tönning verliebte ich mich im Januar 1944 in Ryszard. Er war als Zwangsarbeiter beim Wasserbauamt, in der Nähe vom Hotel Methmann, nur wenige Minuten entfernt hauste er mit anderen Zwangsarbeitern in einer Baracke. In ihn hatte ich mich auf den ersten Blick verliebt. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich aufgehört, um mein Leben zu kämpfen. Ich war nun einerseits unglaublich verliebt und sehr glücklich, aber gleichzeitig quälte ich mich Tag für Tag damit rum, was wohl mit meiner Familie passiert war. Trotz meines Glückes war das Leben nur sehr schwer auszuhalten.

Einmal hielt ich mich mit anderen bei Ryszard noch nach 20 Uhr in seiner Baracke auf, als die Deutschen eine Razzia machten und uns erwischten. Herr Methmann, der Hotelbesitzer, musste für mich eine Strafe von 20 Reichsmark bezahlen, und ich bekam ordentlich Ärger, aber keine Schläge oder so etwas. Das war noch mal glimpflich ausgegangen und hätte auch ein ganz anderes, grauenhaftes Ende nehmen können.

Vielleicht wäre ich dort bis zum Kriegsende geblieben, aber im September 1944 kam urplötzlich ein Befehl, dass Ausländer nicht mehr in Restaurants und Hotels bleiben durften. Ich weiß nicht warum, aber wahrscheinlich hatten die Deutschen Angst, wir könnten uns so leichter gegen sie verschwören.