Die "Urlaubs"-Erlebnisse von Krystyna Wiatr und Krystyna Strozyk 1943 [1]

 

Die Umstände des Abtransportes der damals 13jährigen Krystyna Strozyk und der damals 14jährigen Krystyna Wiatr aus Poznan am 5. Mai 1940 nach Deutschland sind bereits an anderer Stelle dargestellt worden. Sie gelangten mit der Reichsbahn über Luckenwalde und Kassel nach Homberg. Vor dem dortigen Arbeitsamt wurden sie schon von einer Schar Bauern aus der Umgebung erwartet. Die Bauern nahmen die Menschen(!) aus Polen in Augenschein, musterten sie ganz genau und wählten dann insbesondere nach dem Kriterium der Arbeitsfähigkeit aus. Für die Bauern war das wohl eine normale berufsorientierte Tätigkeit.

Die beiden Mädchen hatten Glück. Sie blieben zusammen und kamen mit drei weiteren Mädchen aus Poznan in das kleine Dorf Salzberg, wo es nur 15 Bauernstellen und höchstens 100 Einwohner gab. Die jungen Polinnen mußten zwar körperlich schwer auf dem Feld und im Haus "ihres" Bauern arbeiten, sie wurden aber insgesamt nicht schlechter behandelt als deutsche Landarbeiter. Die Bauern legten bei der Feldarbeit selbst mit Hand an, und außerdem galt in dem Dorf der Satz: "Wer zusammen arbeitet, soll auch zusammen essen." Die polnischen Mädchen durften deshalb bei den Mahlzeiten mit am Tisch der Bauernfamilie sitzen und essen. Sie hatten eine eigene, wenn auch kleine Kammer zu ihrer Verfügung. Die Entlohnung war unterschiedlich: Während Krystyna Wiatr 10 RM pro Monat erhalten hat, mußte Krystyna Strozyk unentgeltlich arbeiten. Den Mädchen war es erlaubt, einen Brief in der Woche nach Hause zu schreiben. Diese Möglichkeit haben sie regelmäßig genutzt.

Dass nicht alle Deutschen sich in der Zeit des Nationalsozialismus ihrer menschlichen Regungen und Gefühle entledigt hatten, zeigt folgendes Erlebnis der beiden Krystynas: Am Ende des Jahres 1943 waren die Bauern des Dorfes Salzberg zusammengekommen und hatten beschlossen, dass die fünf Mädchen aus Poznan über Weihnachten und Neujahr Urlaub bekommen sollten. Schließlich hatten sie alle dreieinhalb Jahre lang ordentlich gearbeitet und hatten sich immer tadellos benommen. Der Bürgermeister stellte den Fünfen deshalb eine gemeinsame Urlaubsbescheinigung aus, die in Poznan bei der entsprechenden Meldebehörde abgegeben werden sollte.

Die deutschen Beamten in der Meldebehörde staunten nicht schlecht, als ihnen die Bescheinigung präsentiert wurde. Urlaub war im System des Einsatzes von Ausländern als Zwangsarbeiter nicht üblich. Deshalb wurden sofort die Polizei und das Arbeitsamt informiert. Die Mädchen mussten auf ihren Urlaub verzichten und wurden den Deutschen Waffen-und Munitionsfabriken (DWM) in Poznan als Arbeiterinnen zugewiesen.

Dieser Fall war für die deutschen Behörden so ungeheuerlich, dass er noch lange nicht abgeschlossen war: Die fünf jungen Polinnen mussten sich auf der Gestapo-Dienststelle am Plac Wolnosci (Platz der Freiheit!) melden und wurden ausführlich zu den näheren Umständen ihrer Urlaubsreise befragt. Für Krystyna Strozyk dauerte das Verhör länger als für ihre Freundinnen. Sie wurde drei Tage und Nächte von den Gestapo-Leuten festgehalten.

Erst das Intervenieren ihrer Chefin aus der Rüstungsfabrik veranlasste die Gestapo, Krystyna freizulassen und sie und ihre vier Freundinnen nicht wieder nach Deutschland in die Landwirtschaft zu schicken. Dafür mussten sie für die deutsche Wehrmacht Munition herstellen.

 


[1] Der Verfasser war 1995 in Polen und hat dort drei ehemalige Zwangsarbeiter der Baufirma Habermann & Guckes besucht. Im Rahmen dieses Besuchsprojektes lernte er zufällig Krystina Strozyk und Krystyna Wiatr kennen, denen sehr daran gelegen war, über ihre Erlebnisse als nach Deutschland deportierte Kinder zu berichten. Siehe dazu Uwe Fentsahm: Auf den Spuren der polnischen Zwangsarbeiter in Wattenbek - oder: Die etwas andere Urlaubsreise, in: Mitteilungen des Geschichtsvereins für das ehemalige Amt Bordesholm, Heft 4 (1995), S.14ff. [auch online verfügbar]

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